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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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ersten Zeiten seines Auftretens zum Lachen reizte, um so mehr, als ihm später nicht nur mit knechtischer Hochachtung begegnet wurde – dies ist uns noch als ein Zeichen der Furcht verständlich gewesen –, sondern auch mit ehrlicher Bewunderung. Vor allem war seine Gestalt sonderbar. Er war von kleinem Wuchs. Sein Leib schien ohne Kno-chen, so daß von ihm etwas Schleimiges ausging. Er war ohne Haare, auch jene der Brauen fehlten. Er bewegte sich wie ein Seiltänzer, der das Gleichgewicht zu verlieren fürchtet, mit geräuschlosen Schritten, deren Schnelligkeit regellos wechsel-te. Seine Stimme war leise und stockend. Wenn er mit einem Menschen in Berührung trat, richtete er seinen Blick stets auf tote Gegenstände. Doch ist es ungewiß, wann wir die Möglichkeit des Bösen in ihm zum ersten Male ahnten. Vielleicht geschah dies, als sich gewisse Veränderungen auf der Bühne bemerkbar machten, die ihm zuzuschreiben waren. Vielleicht, 35

    doch ist es zu bedenken, daß Veränderungen im Ästhetischen im allgemeinen noch nicht mit dem Bösen in Verbindung gebracht werden, wenn sie zum ersten Male unsere Aufmerk-samkeit erregen: Wir dachten damals eigentlich mehr an eine Geschmacklosigkeit, oder machten uns über seine vermutliche Dummheit lustig. Gewiß hatten diese ersten Aufführungen im Schauspielhaus unter seiner Regie noch nicht die Bedeutung jener, die in der Folge berühmt werden sollten, doch waren Ansätze vorhanden, die seinen Plan andeuteten. So war etwa ein Hang zum Maskenhaften eigentümlich, der schon in dieser frühen Zeit seine Bühne auszeichnete, auch war jenes Abstrakte des Aufbaus vorhanden, das später so hervorgehoben worden ist. Diese Merkmale drängten sich nicht auf, doch mehrten sich die Anzeichen, daß er eine bestimmte Absicht verfolgte, die wir spürten, aber nicht abschätzen konnten. Er mochte einer Spinne gleichen, die sich anschickte, ein riesenhaftes Netz zu bereiten, wobei er aber scheinbar planlos verfuhr, und vielleicht war es gerade wieder diese Planlosig-keit, die uns verführte, über ihn zu lachen. Natürlich konnte es mir mit der Zeit nicht verborgen bleiben, daß er unmerklich in den Vordergrund strebte, nach seiner Wahl ins Parlament fiel dies jedem auf. Indem er das Theater mißbrauchte, setzte er an, die Menge an einem Ort zu verführen, wo niemand eine Gefahr vermutete. Doch wurde mir die Gefahr erst bewußt, als die Veränderungen auf der Bühne einen Grad erreicht hatten, der die geheime Absicht seines Handelns bloßlegte: Wie in einem Schachspiel erkannten wir den Zug, der uns vernichtete, erst, als er gespielt war, zu spät. Wir haben uns dann oft gefragt, was die Masse bewog, in sein Theater zu gehen. Wir mußten gestehen, daß diese Frage kaum zu beantworten war.
    Wir dachten an einen bösen Trieb, der die Menschen zwingt, ihre Mörder aufzusuchen, um sich ihnen auszuliefern, denn jene Veränderungen enthüllten, daß er die Freiheit zu unter-graben bestrebt war, indem er deren Unmöglichkeit nachwies, 36

    so daß seine Kunst eine verwegene Attacke auf den Sinn der Menschheit war. Diese Absicht führte ihn dazu, jedes Zufällige auszuschalten und alles auf das peinlichste zu begründen, so daß die Vorgänge der Bühne unter einem ungeheuerlichen Zwange standen. Auch war bemerkenswert, wie er mit der Sprache verfuhr, in welcher er die Elemente unterdrückte, in denen sich die einzelnen Dichter unterscheiden, so daß der natürliche Rhythmus verfälscht wurde, um den gleichmäßigen, entnervenden Takt stampfender Kolben zu erreichen. Die Schauspieler bewegten sich wie Marionetten, ohne daß die Macht im Hintergrund geblieben wäre, die ihr Handeln bestimmte, sondern sie vor allem war es, die sich als eine sinnlose Gewalt offenbarte, so daß wir in einen Maschinensaal zu blicken glaubten, wo eine Substanz erzeugt wurde, welche die Welt vernichten mußte. Hier soll auch erwähnt werden, wie er Licht und Schatten benutzte, die ihm nicht dienten, auf unendliche Räume hinzuweisen und so eine Verbindung mit der Welt des Glaubens herzustellen, sondern dazu, die Endlichkeit der Bühne aufzudecken, da merkwürdige kubische Blöcke das Licht begrenzten und hemmten, wie er denn ein Meister der abstrakten Form gewesen ist; auch wurde durch geheime Vorrichtungen jeder Halbschatten vermieden, so daß sich das Geschehen in engen Kerkerräumen abzuspielen schien. Er verwandte nur Rot und Gelb in einem Feuer, welches das Auge verletzte. Am teuflischsten aber war, daß unmerklich

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