Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
verdoppelt. Rechnen wir doch mal genauer: Das durchschnittlich verfügbare Jahreseinkommen betrug damals umgerechnet ungefähr 8900 Euro. Das Haus meiner Eltern kostete also das 14,4-Fache davon. Im Jahr 2011 belief sich das durchschnittliche verfügbare Einkommen je Arbeitnehmer auf 18 588 Euro. Würde ich heute das 14,4-Fache davon für den Hauskauf aufwenden, dann wären das 268 000 Euro. Dafür würde ich in der Wohngegend, in die meine Eltern sich damals eingekauft haben, heute aber nicht einmal mehr das Grundstück bekommen. Nicht einmal annähernd! »Es ist, als ob man in einem Raum lebt, der immer mehr schrumpft«, zitierte Frank Schirrmacher im August 2011 den englischen Publizisten und Thatcher-Biografen Charles Moore in einem Artikel mit der bemerkenswerten Überschrift »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat« – und das in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
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Schlechte Bezahlung, hohe Immobilienpreise, unsichere Perspektiven und immer höhere Aufwendungen für die Altersvorsorge. Ja, die Räume schrumpfen. Dennoch: Bislang sind wir insgesamt trotzdem immer noch eine der reichsten Gesellschaften der Welt, unbestritten. Die Frage ist also: Wo ist das Geld?
Überall auf der Welt, auch innerhalb von Deutschland, klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Und durch alles, was neuerdings im Finanzgeschäft möglich ist, wird das noch extremer, denn mit nichts kann man so viel Geld verdienen wie mit Geld. Noch einmal Charles Moore: »Ein System, das angetreten ist, das Vorankommen der Vielen zu ermöglichen, hat sich zu einem System pervertiert, das die Wenigen bereichert.« Ungleichheit und Ungerechtigkeit ziehen aber Gewalt, Aufstände und Krieg nach sich, das ist eine der wichtigsten Lehren der Geschichte der Menschheit.
Wir sind in Deutschland im Moment noch eine der sichersten Gesellschaften, die es überhaupt gibt. Aber auch bei uns ist die Gesetzmäßigkeit, dass übermäßige Ungleichheit unter Menschen notfalls gewaltsam beseitigt wird, nicht außer Kraft gesetzt. Und was wir noch lange nicht verstanden haben, was wir aber endlich verstehen müssen: Mit jedem Einkauf beim Discounter, bei jedem Schnäppchen, das wir mitnehmen, mit jeder Entscheidung für ein billiges anstelle eines wertvollen Produkts schieben wir uns ein kleines Stückchen weiter vor an den Rand des Abgrunds.
»Hoffnung ist erst wieder,
wenn ein Huhn 15 Euro kostet.« 19
Sarah Wiener
Kapitel 2
Wie Nachhaltigkeit funktioniert
Ich stehe im Wald. Das heißt, meine Füße stehen in der Moosschicht, bis zur Hüfte reicht die Krautschicht, und auf Kopfhöhe befinde ich mich in der Strauchschicht eines gesunden, schönen Mischwaldes. Es ist kühl und schattig hier unten, ich blinzle nach oben in die Kronen, von wo pünktchenweise die Sonne durch das dichte Laubwerk einer Buche blitzt.
So ein Wald ist ein Meister der Lichtnutzung, nur 10 Prozent der Sonneneinstrahlung werden vom Blätterdach reflektiert, knapp 80 Prozent werden von den Baumkronen aufgefangen und für die Photosynthese genutzt, der größte Teil der restlichen gut 10 Prozent, die es durch die Kronen schaffen, wird von der Strauchschicht und der Krautschicht absorbiert, bis zum Boden kommen nur 2 Prozent des Sonnenlichts durch. Besser verwerten kann man Sonnenlicht nicht.
In einem Buchenblatt aus der Baumkrone würde bei so wenig Licht wie am Waldboden die Photosynthese gar nicht erst anspringen. Aber würde andererseits ein Moos vom Waldboden der vollen Sonneneinstrahlung ausgesetzt werden wie ein Buchenblatt in der Krone, dann würde es schnell vom harten Licht beschädigt werden und vertrocknen. Alles hat hier seinen Platz.
Erst denken, dann ernten
Als Förster reguliere und steuere ich meinen Wald über das Licht. Bekommt ein junger Baum in der Strauchschicht mehr Licht, dann kann er mehr Photosynthese betreiben – also vereinfacht gesagt: mittels Sonnenergie aus Kohlendioxid und Wasser Kohlenhydrate produzieren – und damit wachsen und nach oben streben.
Wie bekomme ich mehr Licht an eine bestimmte Stelle im Wald? Indem ich einen Baum fälle. Den richtigen Baum. Ein Förster ist ein Lichtregisseur, der in Jahrhunderten denkt. Aber bevor ich entscheiden kann, wie viel Licht ich wohin fallen lasse, muss ich wissen, wo der meiste Wertzuwachs herkommt. Ein Förster ist nämlich nicht nur ein Ökologe, sondern auch ein Ökonom.
Welcher Baum wächst besser? Der oder der? Welcher Baum wird mehr Holzzuwachs produzieren, und wie
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