Ausser Dienst - Eine Bilanz
es sich gefallen lassen müssen, von einstigen Gesinnungsgenossen nunmehr »Bellizisten« genannt zu werden. Die Bomben auf Belgrad haben gezeigt, wie schnell aus einer sogenannten humanitären Intervention eine brachiale Verfolgung eigener machtpolitischer Interessen wird – das kommt dabei heraus, wenn man anfängt, sich einzumischen.
Seither hat Deutschland sich an mehreren militärischen Interventionen beteiligt; sie wurden teils humanitär, teils mit der Notwendigkeit der Abwehr von Terrorismus begründet. Aber ob in Bosnien oder im Kosovo, in Afghanistan oder an der Küste des Libanon: Die Häufung deutscher Interventionsbeteiligungen beunruhigt mich zutiefst. Ich halte die Verteidigung meines Landes gegen fremde Gewalt und ebenso die Verteidigung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates nicht nur für völkerrechtlich legitim, sondern für moralisch geboten. Zugleich aber liegt mir die Mahnung am Herzen: Laßt uns die sorgsame Pflege guter Nachbarschaft wichtiger sein als jede Beteiligung an fremden Konflikten in anderen Kontinenten.
Die Wahrung des Friedens hängt nicht von den Politikern allein ab. Religiöse Eiferer haben im Laufe der Menschheitsgeschichte nicht nur Tausende Menschen zum Tode verurteilt, hingerichtet und ermordet, sie haben auch zahllose Kriege angestiftet. Das gilt für die islamischen Kalifen ebenso wie für die christlichen Päpste. Das Bestreben, die eigene Religion auszubreiten, geht immer wieder Hand in Hand mit dem Willen, die eigene Macht auszudehnen. Sowohl das Christentum als auch der Islam sind weniger durch Zeugnis, Überzeugung und Einsicht ausgebreitet worden als vielmehr durch das Schwert, durch Eroberung und Unterwerfung. Wenn in Kaschmir Hindus und Muslime einander bekämpfen oder im Mittleren Osten sunnitische und schiitische Muslime, dann geht es im Kern abermals um Macht und Herrschaft. Mit Hilfe der Religion lassen sich Menschenmassen noch immer leicht beeinflussen, und manche religiöse Lehrer, Priester und Oberhirten werden selbst zu Anstiftern von Krieg und Terrorismus.
Auch deshalb bleibt die Maxime des Friedens ein unentbehrlicher Teil der politischen Ethik. Das heißt nicht, daß der verantwortungsbewußte Politiker ein Pazifist sein soll. Pazifismus um den Preis der bedingungslosen Unterwerfung unter die Macht und den Willen eines Eroberers kann den Untergang des eigenen Volkes und des eigenen Staates bedeuten. Ein signifikantes Beispiel war das Münchener Abkommen im Herbst 1938. Die Tschechoslowakei hatte wegen des seit Mai 1938 drohenden deutschen Einmarschs ihre Streitkräfte mobil gemacht, und Frankreich und England hatten unterstützende Erklärungen abgegeben. Ende September stimmten Daladier und Chamberlain aber überraschend und ohne Rücksicht auf die Tschechoslowakei zu nehmen der Abtretung der sogenannten sudetendeutschen Landesteile an das Deutsche Reich zu. Durch das Abkommen ermutigt, das ihn in dem Glauben wiegte, Frankreich und England seien für einen Krieg gegen Deutschland nicht ausreichend gerüstet, marschierte Hitler ein halbes Jahr später in Prag ein und besetzte den tschechoslowakischen Staat. Objektiv und moralisch haben die Tschechen recht, wenn sie das Münchener Abkommen als von vornherein ungültig ansehen.
Die Charta der Vereinten Nationen verbietet einem Staat keineswegs, sich zu verteidigen, wenn er angegriffen wird. Wenn ein Staat durch Art und Umfang seiner Rüstung einen anderen Staat in seinem Frieden bedroht, so ist dieser Staat moralisch im Recht, wenn er entsprechende Gegenmaßnahmen ergreift: Jedoch wäre ein dem Aggressor zuvorkommender militärischer Gewaltakt (»präventiver Krieg«) moralisch höchst zweifelhaft. Deshalb war die Weigerung von Bundeskanzler Schröder, sich mit deutschen Streitkräften an der amerikanischen Invasion im Irak 2003 zu beteiligen, nach meinem Urteil nicht nur vollauf gerechtfertigt, sondern auch geboten.
Ganz anders dagegen war die Lage der alten Bundesrepublik zu Zeiten des Kalten Krieges, als die Sowjetunion nicht nur uns Deutsche, sondern auch andere Staaten im Westen Europas durch eine quantitativ hoch überlegene Rüstung bedrohte. Die USA, Frankreich und England kompensierten ihre zahlenmäßige Unterlegenheit durch atomare Rüstung. Das Nord-Atlantische Bündnis und die NATO drohten der Sowjetunion für den Fall eines Angriffs mit »nuklearer Vergeltung«. Ich habe sowohl die gemeinsame Verteidigungsbereitschaft der NATO als auch die deutsche Beteiligung für notwendig
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