Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Göttin den Körper ihres Geliebten empfangen…
Eine solche Verbindung wäre nicht völlig unverständlich. Ihr Vater war der Ritter der Königin und der beste Freund des Königs. Im Gegensatz zu den christlichen Priestern durfte Kevin, der Merlin, heiraten. Der Hof wäre über eine so standesgemäße Ehe erfreut, obwohl sicher einige der Hofdamen entsetzt darüber sein würden, daß sie ihren zarten Körper einem Mann überließ, der in ihren Augen ein Ungeheuer war.
Artus wußte sicher, daß Kevin nicht mehr nach Avalon zurückkehren konnte. Aber schließlich hatte er einen Platz am Hof als Ratgeber des Königs, und außerdem übertraf ihn kein Sänger oder Harfenspieler.
Hier würde es einen Platz für uns geben, und wir könnten glücklich sein… Wenn der Mond voll ist und vor Leben überfließt, wird er mit mir ein Kind zeugen… und ich werde es freudig gebären… Er wurde nicht als Ungeheuer geboren. Seine Entstellung ist die Folge eines Unfalls in der Kindheit… seine Söhne werden gut aussehen…
Dann rief sie sich, erschreckt von der Macht ihrer Phantasie, zur Ordnung. Nein, so weit durfte sie sich in den Zauber nicht verstricken. Sie mußte sich ihm verweigern, obwohl der zunehmende Mond die Qual des Verlangens entfachte. Sie mußte warten… warten… Wie sie all die Jahre gewartet hatte… Es gibt eine Magie, die wirkt, wenn man sich dem Leben überläßt. Die Priesterinnen von Avalon kannten sie, denn sie lagen an den Beltanefesten in den Feldern und beschworen das Leben der Göttin mit ihren Körpern und Herzen… Aber eine größere Magie wird wirksam, wenn man die Kraft hütet und den Strom staut. Die Christen wußten davon, und sie verlangten, daß ihre heiligen Jungfrauen in Abgeschiedenheit und völliger Keuschheit lebten, damit sie mit der dunkleren Flamme der gezügelten Lebenskraft brannten. Damit ihre keuschen Priester die aufgestaute Macht in die christlichen Mysterien ergossen, oder das, was sie dafür hielten. Nimue hatte diese Macht an Raven gespürt. Sie verschwendete in ihrem Leben nie Worte an Alltägliches, aber wenn sie ihre Kraft freisetzte, war sie gewaltig. Nimue saß früher oft allein im Tempel von Avalon, weil ihr verboten war, sich unter die anderen Jungfrauen zu mischen oder an den Riten teilzunehmen. Dann spürte sie das Leben in ihren Adern mit solcher Macht pulsieren, daß sie manchmal in hysterisches Weinen ausbrach, an ihren Haaren riß oder sich das Gesicht zerkratzte… warum hatte man sie dazu auserwählt?
Warum mußte sie diese schreckliche Last tragen, ohne Erleichterung zu finden? Aber sie hatte der Göttin vertraut und ihren Lehrerinnen gehorcht. Jetzt mußte sie diese große Aufgabe vollbringen, und
sie durfte nicht aus Schwäche versagen. Nimue war ein gefülltes Gefäß der Macht – wie die Heiligen Insignien, die jedem den Tod brachten, der sie unvorbereitet berührte. Die ganze Macht ihrer langen Einsamkeit stand ihr zur Verfügung, um den Merlin an sich zu binden… aber sie mußte warten, bis die Flut zurückwich und sich wieder sammelte. Beim dunklen Mond mußte sie sich die neue Flut von der anderen Seite des Mondes zunutze machen… sie brachte keine Fruchtbarkeit, sondern Unfruchtbarkeit. Sie entstammte nicht dem Leben, sondern der alten dunklen Magie, die älter war als die Menschheit… Der Merlin kannte diese Zusammenhänge. Er kannte den alten Fluch des dunklen Mondes und des unfruchtbaren Leibes… er mußte so in ihrem Bann stehen, daß er nicht einmal fragen würde, weshalb sie sich ihm bei Vollmond verweigerte und sich ihm bei Neumond hingab. Einen Vorteil hatte sie: Er ahnte nicht, daß sie um diese Dinge wußte, denn er hatte sie nie in Avalon gesehen. Aber das Band zwischen ihnen fesselte sie beide. Wenn sie seine Gedanken lesen konnte, las er vielleicht ihre. Sie durfte sich keinen Augenblick gehenlassen, damit er nicht ihre Absichten erriet…
Ich muß ihn so blind vor Verlangen machen, daß er vergißt… daß er alles vergißt, was er in Avalon gelernt hat.
Aber sie durfte sich von seinem Verlangen nicht überwältigen lassen. Sie mußte sich beherrschen. Das würde nicht leicht sein. In Gedanken beschäftigte sie sich mit der nächsten List.
Erzählt mir von Eurer Kindheit,
würde sie sagen.
Erzählt mir, wie Ihr verletzt wurdet.
Mitgefühl ist ein starkes Band. Sie wußte, auf welche Stellen sie den Finger legen mußte… Verzweifelt dachte sie daran, daß sie versuchte, ihm nahe zu sein, ihn zu berühren – nicht weil es
Weitere Kostenlose Bücher