Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
gewagt für eine junge Frau. Sie bemerkte, daß Gwenhwyfar sie empört anblickte und dachte:
Gut, wenn mein unmädchenhaftes Verhalten sie entsetzt, wird sie nicht zu sehr meine Gründe erforschen.
Dann spielte und sang sie eine Klage, die sie von einem Harfner aus dem Norden kannte. Es war das traurige Lied eines Fischers auf hoher See, der die Lichter seines Dorfs am Ufer suchte. Danach erhob sie sich und sah ihn scheu an. »Ich danke Euch, daß ich auf Eurer Harfe spielen durfte… kann ich sie mir wieder entleihen, um meine Hände in Übung zu halten?«
»Sie ist mein Geschenk für Euch«, erwiderte Kevin. »Ich habe gehört, welche Musik Eure Hände darauf hervorbringen, und weiß jetzt, sie kann niemandem sonst gehören. Behaltet sie, ich bitte Euch darum… ich besitze viele Harfen.«
»Ihr seid zu freundlich«, murmelte sie. »Aber ich bitte Euch, laßt mich nicht allein, raubt mir nicht den Genuß Eurer Musik, nur weil ich jetzt selbst eine Harfe habe.«
»Ich werde für Euch spielen, wann immer Ihr mich darum bittet«, erwiderte Kevin. Nimue wußte, daß er es aufrichtig meinte. Als sie sich verbeugte, um die Harfe entgegenzunehmen, gelang es ihr, ihn zu streifen. Leise, damit Gwenhwyfar es nicht hören sollte, murmelte sie: »Worte allein können meine Dankbarkeit nicht ausdrücken. Vielleicht kommt eine Zeit, wenn ich ihr angemessen Ausdruck verleihen kann.«
Er sah sie wie benommen an, und Nimue bemerkte, daß sie seinen Blick mit der gleichen Intensität erwiderte.
Ein wahrhaft zweischneidiger Zauber. Auch ich falle ihm zum Opfer.
Kevin verließ sie. Nimue saß gehorsam bei Gwenhwyfar und versuchte, ihre Gedanken dem Spinnen zuzuwenden. »Wie schön du spielst, Nimue«, begann Gwenhwyfar. »Ich muß nicht fragen, wo du es gelernt hast… ich habe diese Klage auch einmal von Morgaine gehört.«
Nimue wich ihrem Blick aus und bat: »Erzählt mir etwas von Morgaine. Sie verließ Avalon, ehe ich dorthin kam. Sie heiratete einen König… war es in Lothian?«
»In Nordwales«, antwortete Gwenhwyfar.
Nimue wußte das alles sehr genau, trotzdem heuchelte sie nicht nur Interesse. Morgaine blieb ihr ein Rätsel. Es drängte sie zu erfahren, wie die Menschen in der Welt die Herrin Morgaine erlebt hatten.
»Morgaine war eine meiner Hofdamen«, erklärte Gwenhwyfar. »Artus brachte sie am Tag unserer Hochzeit zu mir. Er war getrennt von ihr aufgewachsen und kannte sie selbst kaum…«
Nimue hörte aufmerksam zu. Sie hatte gelernt, Gefühle zu erraten und erkannte hinter Gwenhwyfars Abneigung etwas anderes: Achtung, Ehrfurcht, selbst eine Art Zärtlichkeit.
Wäre Gwenhwyfar nicht so eine fanatische, kopflose Christin, hätte Morgaine sie aufrichtig geliebt.
Wenigstens betete Gwenhwyfar nicht ihren frommen Unsinn her, der Nimue beinahe zu Tode langweilte, solange sie über Morgaine sprach,
obwohl sie Morgaine als böse Zauberin verdammte. Aber sie konnte Gwenhwyfars Geschichten nicht die volle Aufmerksamkeit schenken. Sie gab sich den Anschein, interessiert zuzuhören, machte die passenden erstaunten oder zustimmenden Einwürfe, aber innerlich war sie völlig aufgewühlt.
Ich fürchte mich. Es kann geschehen, daß ich die Sklavin und das Opfer des Merlin werde… Göttin! Große Mutter! Nicht ich muß ihm entgegentreten, sondern du …
Der Mond nahm zu. In vier Nächten würde Vollmond sein. Sie spürte bereits, wie dieser lebendige Strom sich in ihr regte. Sie dachte an den eindringlichen Blick des Merlin, an seine zauberhaften Augen, an die Schönheit seiner Stimme und wußte, sie war bereits tief in das Gewebe ihres eigenen Zaubers verstrickt. Sie spürte schon nicht mehr den geringsten Widerwillen gegen seinen entstellten Körper. Sie fühlte nur die Kraft und das Leben, das in ihm pulsierte.
Wenn ich mich ihm am Vollmond hingebe,
dachte sie,
vereinigen sich die Ströme des Lebens in uns auf dem Höhepunkt. Dann werden meine Absichten zu seinen, dann werden wir zu einem Körper…
Nimue spürte den Schmerz und die Qual des Verlangens. Sie sehnte sich danach, von seinen empfindsamen Händen liebkost zu werden und seinen warmen Atem an ihrem Mund zu spüren. Alles in ihr schrie in einem Hunger, von dem sie wußte, daß er zumindest teilweise ein Echo seines Begehrens und seiner Enttäuschung war.
Das magische Band, das sie zwischen ihnen geknüpft hatte, brachte es mit sich, daß sie auch seine Qualen erdulden mußte.
Wenn die Flut des Lebens mit dem vollen Mond den Höhepunkt erreicht, wird die
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