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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Augenblick lang glich er einem strahlenden hellenischen Mystagogen oder Hierophanten.
    »Hier, o junger Mann - ein Trankopfer! Wein des Kosmos -
    Nektar der gestirnten Weltenräume - Linos - lacchus - lalemus -
    Zagreus - Dionysos - Atys - Hylus - Apollo entsprungen und getötet von den Hunden von Argos - Saat der Psamathe - Kind der Sonne - Evoe! Evoe!«Er hatte wieder seinen Singsang angestimmt, und diesmal schien sein Geist zurück zu den klassischen Erinnerungen seiner Collegetage gewandert zu sein.
    In meiner aufrechten Stellung bemerkte ich, daß die Notbremse sich nicht weit über unseren Köpfen befand, und fragte mich, ob ich sie wohl erreichen konnte, wenn ich so tat, als reagiere ich mit einer Geste auf seine zeremonielle Stimmung. Es war den Versuch wert, meine Arme auf ihn zu und feierlich in die Höhe zu werfen, wobei ich den lauten Schrei »Evoe« ausstieß in der Hoffnung, ich könne die Leine ziehen, bevor er es merkte. Es nützte jedoch nichts. Er erkannte meine Absicht und fuhr mit einer Hand zur rechten Manteltasche, in der mein Revolver steckte. Worte waren überflüssig, und einen Augenblick standen wir da wie Statuen. Dann sagte er ruhig: »Beeilen Sie sich!.
    Wiederum mühte sich mein Geist verzweifelt ab, irgendeinen Fluchtweg zu ersinnen. Die Türen, das wußte ich, waren bei mexikanischen Zügen unverschlossen. Mein Reisegefährte konnte mich jedoch einfach am Versuch hindern, eine zu öffnen und hinausspringen zu wollen. Außerdem fuhr der Zug in so hohem Tempo, daß die Sache im Falle des Gelingens für mich vermutlich ebenso tödlich wäre wie beim Mißlingen. Mir verblieb nur noch, Zeit zu schinden. Ein gutes Stück der dreieinhalbstündigen Fahrt war bereits zurückgelegt, und wenn wir erst in Mexico City wären, würden die Bahnhofswachen und die Polizei sofortige Sicherheit bedeuten.
    Es gäbe zwei diplomatische Möglichkeiten, dachte ich. Wenn ich ihn dazu bringen könnte, das Überziehen der Haube hinauszuschieben, würde ich Zeit gewinnen. Natürlich glaubte ich nicht, daß das Ding wirklich tödlich war, ich wußte jedoch genug von Wahnsinnigen, um zu verstehen, was geschehen würde, wenn es nicht funktionierte. Zu seiner Enttäuschung käme das verrückte Gefühl hinzu, daß ich für den Fehlschlag verantwortlich wäre, was seine Aufmerksamkeit fesseln und mehr oder minder ausgedehnte Nachforschungen nach anderen Einflüssen auslösen würde. Ich fragte mich nur, wie weit seine Glaubensseligkeit ginge und ob ich gleich das Scheitern prophezeihen solle, wobei mir dann das Scheitern selbst den Weihestempel des Sehers oder Eingeweihten oder sogar eines Gottes aufdrücken würde. Ich kannte genug von der
    mexikanischen Mythologie, um den Versuch wagen zu können, auch wenn ich mein Heil zunächst in anderen
    Verzögerungstaktiken suchen und die Prophezeiung als plötzliche Offenbarung ins Spiel bringen würde. Würde er mich schließlich verschonen, wenn ich ihn dazu bringen könnte, mich für einen Propheten oder einen Gott zu halten? Würde er mir
    »abnehmen«, Quetzalcoatl oder Huitzilopochtli zu sein? Alles war mir recht, wenn es nur gelang, die Suche bis zu unserer planmäßigen Ankunft um fünf Uhr in Mexico City
    hinauszuzögern.
    Meine erste »Verzögerungstaktik« war der uralte
    Testamentstrick, den Verrückten dazu zu bringen, seinen Befehl, ich solle mich beeilen, zu wiederholen. Ich erzählte ihm von meiner Familie und der geplanten Heirat und bat ihn um den Gefallen, ein Testament abfassen zu dürfen und über mein Geld und das sonstige Vermögen Verfügungen zu treffen. Falls er mir etwas Papier zur Verfügung stellen und sich bereit erklären würde, das von mir Geschriebene zur Post zu geben, könnte ich ruhig und in Frieden sterben. Nach einiger Überlegung gab er meinem Verlangen statt und suchte in seinem Koffer nach einem Notizblock, den er mir mit ernster Miene reichte, während ich mich wieder setzte. Ich holte einen Bleistift hervor, dem ich gleich am Anfang geschickt und heimlich die Spitze abbrach und so für Verzögerung sorgte, während er nach einem anderen Bleistift suchte. Als er ihn mir reichte, nahm er den abgebrochenen Bleistift an sich und schickte sich an, ihn mit einem großen Messer mit Horngriff zu spitzen, das er unter dem Mantel im Gürtel getragen hatte. Es war offenkundig, daß mir ein zweites Abbrechen des Bleistifts nicht viel nützen würde.
    Ich kann mich jetzt kaum mehr erinnern, was ich schrieb. Es war weitgehend wirres Zeug und

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