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Jackpot - wer traeumt, verliert

Jackpot - wer traeumt, verliert

Titel: Jackpot - wer traeumt, verliert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Knoesel
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Vier Schritte einatmen, vier Schritte ausatmen – was hatte Sprenger, sein Sportlehrer, gesagt? Dann läuft man irgendwann wie von selbst, wie eine Maschine.
    Von wegen. Wenn der Schnee nicht wäre, vielleicht. Bei jedem zweiten Schritt rutschte Chris aus, seine Turnschuhe waren schon nass, seine Zehen froren ihm langsam ab.
    Aber immer noch besser als in dieser kleinen Wohnung rumhängen. Am Arsch der Welt. Gut, nicht ganz – am Arsch der Stadt.
    Im Hasenbergl. Das Getto, wenn man aus Schwabing kam: Hochhäuser, Asos, und ein falsches Wort und du liegst am Boden. Wenn du Glück hast, nur mit einem Messer am Hals. Das war jedenfalls das Bild, das er damals im Kopf hatte – als sie vor einem halben Jahr den Kleintransporter, den Onkel Willi besorgt hatte, mit Umzugskisten vollpackten.
    In Wirklichkeit war es gar nicht so schlimm. Klar konnte man hier eins auf die Fresse kriegen – aber ganz ehrlich: Das konnte einem überall passieren.
    Die Gegend konnte sogar recht schön sein, wenigstens wenn er an einem sonnigen Tag aus dem Fenster schaute. Dann sah er auf das Fußballfeld und den Spielplatz. Dahinter wuchsen die ersten Waldkiefern, die ihn an schon vergessene Urlaube in Kroatien und Italien erinnerten. Und daneben gab es Rapsfelder, Weizenfelder, Maisfelder bis zum Waldrand. Das einzig Störende war nur der nie endende Lärm der Autobahn, die dahinter wie ein Gürtel auf die Stadt drückte.
    Doch im Sommer kam einem wahrscheinlich alles ein wenig sonniger vor. Wenn Chris an einem trüben Wintertag wie heute aus dem Fenster schaute, na ja – dann konnte man schon mal glauben, dass gleich die Welt unterging.
    Vor allem, wenn man in so einem Loch hauste. Er hatte einfach rausgehen müssen. Sonst hätte er keine Luft mehr bekommen.
    Vier Schritte einatmen, vier Schritte ausatmen.
    Warum funktionierte das nicht?
    Er hatte sich auch nach einem halben Jahr noch nicht an ihr neues Zuhause gewöhnt – falls man es überhaupt so nennen konnte. Auch nicht daran, dass er wieder ein Zimmer mit seinem Bruder teilen musste.
    Als Kinder hatten sie auch nur ein Zimmer gehabt, aber da hatten sie sich noch verstanden.
    Na ja, das Problem würde sich bald von selber lösen. In ein paar Monaten war Phil achtzehn, dann würde er zur Bundeswehr gehen, hatte er gesagt, nach Afghanistan oder wohin auch immer. Wie gesagt, ein Problem weniger.
    Zwar auch ein Bruder weniger. Der blöde Sack – will ihn einfach sitzen lassen. Aber was soll’s? Im Prinzip war er jetzt schon eine Ein-Mann-Familie. Überhaupt, warum war er heute eigentlich in der Schule gewesen? Um sich die blöden Sprüche von seinem Sportlehrer anzuhören?
    »Vier Schritte einatmen, vier Schritte ausatmen. Dann läufst du irgendwann wie von selbst, dann fällt alles von dir ab. Dann bist du irgendwann nur noch ein Körper, und es gibt keine Zeit mehr, nur noch diesen einen langen Augenblick und die Landschaft, die sich verändert. Und deinen Atem, den du irgendwann nicht mehr vom Wind unterscheiden kannst. Und du denkst auch nicht mehr, verstehst du. Du bist nur noch in Bewegung.«
    Es hatte verlockend geklungen, das musste Chris zugeben. Aber es war doch nur Gelaber.
    Lehrer! Den letzten Schultag morgen würde er sich sparen. Mal schauen, ob er nach den Weihnachtsferien noch mal hingehen würde.
    Weihnachten fiel dieses Mal ja auch aus.
    Chris wartete an der Kreuzung, bis ein dunkler Audi, Schneematsch spritzend, an ihm vorbeigefahren war. Dann lief er über die Schleißheimer Straße und dann vom Fahrradweg die kleine Böschung hoch, die wie ein Grenzwall diese Seite der Panzerwiese einschloss.
    Panzerwiese – das hatte ihm gefallen. Früher war es ein Truppenübungsplatz. Es gab immer noch ein paar Kasernen hier in der Gegend. Im Sommer war er einmal um die Wiese herumgelaufen – die ein paar Langweiler von der Stadt offiziell in Nordheide umgetauft hatten. Er hatte eine Stunde dafür gebraucht.
    An einem klaren Tag konnte man von der Böschung, wo er stand, das Windkraftrad in Fröttmaning sehen und die Allianz- Arena. Mal blau, mal rot leuchtend am Abend, je nachdem wer spielte. Heute war es so trüb, dass man nicht mal die zweieinhalb Kilometer zum Ostende der Panzerwiese schauen konnte. Die Wolken über ihm sahen so schwer und dunkel aus, als müsste Chris nur auf den nächsten Baum steigen, um sie zu berühren – und der Schnee würde aus ihnen herausplatzen.
    Das einzig Farbige war jetzt das Einkaufszentrum an der U-Bahn-Station einen knappen Kilometer zu

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