Azazel
durchschaut.«
(Gewiß meinte er dich, mein lieber Freund, so zutreffend, wie der Ausdruck >unfähiger Schreiberling< ist. Natürlich wollte ich dich verteidigen, aber ich fühlte, daß ich auf verlorenem Posten gestanden hätte.)
»Sicher hast du es einfach noch nicht mit dem nötigen Ernst probiert«, vermutete ich.
»Und ob ich das habe! Ich habe hunderte Seiten Papier, und auf jeder befindet sich der erste Absatz eines wunderbaren Romans - der erste Absatz und nichts sonst. Hunderte verschiedener erster Absätze für Hunderte verschiedener Romane. Der Stolperstein bei jedem einzelnen ist der zweite Absatz.«
Ein brillanter Einfall kam mir, doch das überraschte mich nicht. Mein Verstand brütet die ganze Zeit über brillante Einfälle aus.
»Gottlieb«, sagte ich. »Ich kann dieses Problem für dich lösen. Ich kann einen Schriftsteller aus dir machen. Ich kann dich reich machen.«
Er sah mich mit einem unschönen Anflug von Skepsis an. »Du kannst das?« erkundigte er sich mit einer höchst unschmeichelhaften Betonung des Pronoms.
Wir waren aufgestanden und hatten das Restaurant verlassen. Ich registrierte, daß Gottlieb vergessen hatte, Trinkgeld zu hinterlassen, aber ich erachtete es als nicht sehr diplomatisch, ihn darauf aufmerksam zu machen, da er sonst auf die erschreckende Eingebung hätte kommen können, ich solle mich darum kümmern.
»Mein Freund«, sagte ich. »Ich kenne das Geheimnis des zweiten Absatzes, und aus diesem Grund kann ich dich reich und berühmt machen.«
»Ha! Was ist das Geheimnis?«
Sanft sagte ich (und nun dringen wir zu dem brillanten Einfall vor, der mir gekommen war): »Gottlieb, wer arbeitet, soll auch bezahlt werden.«
Gottlieb lachte kurz. »Mein Vertrauen in dich ist dergestalt, George, daß ich keinerlei Bedenken habe, dir die Hälfte all meiner Einkünfte zuzusichern, wenn du mich zu einem reichen und berühmten Schriftsteller machen kannst - abzüglich aller Geschäftsausgaben, versteht sich.«
Nochmals sanfter entgegnete ich: »Ich weiß, daß du ein Mann von Prinzipien bist, Gottlieb, folglich wird dich dein bloßes Wort an unsere Vereinbarung binden wie Ringe aus feinstem Stahl, aber würdest du nicht, nur so zum Spaß -ha, ha - zustimmen, diese Vereinbarung in schriftlicher Form niederzulegen, sie zu unterschreiben und - noch mehr zum Spaß, ha, ha - notariell beglaubigen zu lassen? Wir könnten jeder ein Exemplar davon behalten.«
Die kleine Transaktion nahm lediglich eine halbe Stunde in Anspruch, da es dafür nur eines öffentlichen Notars bedurfte, der nebenbei noch als Schreibkraft arbeitete und ein Freund von mir war.
Ich steckte mein Exemplar des kostbaren Papiers vorsichtig in meinen Geldbeutel und sagte: »Ich kann dir das Geheimnis nicht sofort zugänglich machen, aber sobald ich alles in die Wege geleitet habe, gebe ich dir Bescheid. Dann kannst du versuchen, einen Roman zu schreiben, und wirst feststellen, daß du keine Schwierigkeiten mit dem zweiten Absatz mehr haben wirst - und auch nicht mit dem tausendundzweiten. Natürlich schuldest du mir nichts, bis der erste Vorschuß hereinkommt - ein sehr hoher, dafür bürge ich.«
»Das will ich hoffen«, sagte Gottlieb gehässig.
Noch am selben Abend hielt ich das Ritual ab und rief Azazel herbei. Er ist nur zwei Zentimeter groß und in seiner Welt eine Persönlichkeit ohne großes Ansehen. Das ist der einzige Grund, weshalb er willens ist, mir bei verschiedenen Kleinigkeiten auszuhelfen. Dadurch kann er sich wichtig fühlen.
Natürlich kann ich ihn nicht davon überzeugen, irgend etwas zu unternehmen, das mich auf direkte Weise reich machen würde. Das kleine Geschöpf besteht darauf, daß dies eine inakzeptable Kommerzialisierung seiner Kunst wäre. Auch von meiner Versicherung, alles, was er tue, werde auf absolut selbstlose Weise zum Wohl der Welt eingesetzt, läßt er sich nicht überzeugen. Als ich ihm dies mitteilte, stieß er einen seltsamen Laut aus, dessen Bedeutung ich nicht verstand und von dem er behauptete, er habe ihn von einem Einheimischen der Bronx gelernt.
Aus diesem Grund erklärte ich ihm auch nicht die Hintergründe meiner Abmachung mit Gottlieb Jones. Nicht Azazel würde mich reich machen. Gottlieb würde mich reich machen, nachdem Azazel ihn reich gemacht hatte -aber ich hegte keine Hoffnung, daß Azazel diesen feinen Unterschied begreifen würde.
Azazel war wie üblich etwas gereizt darüber, herbeigerufen zu werden. Sein kleiner Kopf war mit etwas geschmückt, das
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