Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
ursprünglich miteinander verwandt, aber wir wollen hier keine Ahnenforschung betreiben, sondern von Wadim Igorowitsch Babkin berichten.
    Zudem kam frisches Blut nach Ulorjansk, als in Tobolsk, der stolzen Hauptstadt des Gebiets, einige berüchtigte Straflager gegründet wurden, vor allem für politische Wirrköpfe, wie es hieß, die nach ihrer Begnadigung trotzdem nicht mehr in ihre Heimat zurück durften, sondern ihre Freiheit in Sibirien genießen mußten. Auch nach Ulorjansk kamen solche Begnadigten, nicht nur Männer, sondern ebenfalls Frauen, und sorgten für eine Aufweichung der Inzucht und eine neue Blüte des Ortes.
    So entstammte Babkin zum Beispiel der Verbindung zwischen einem Sträfling aus Odessa und einer Frau aus der Gegend von Nowgorod. Sie hatten zehn Kinder miteinander, neun davon wahre Prachtmenschen, anzusehen wie Gemälde, doch nur eines blieb am Leben – ein Außenseiter, an dem die Schönheit vorbeigegangen war: Babkin.
    Und nun lag er also da auf seinem Sterbebett, die Hände gefaltet. War einfach umgefallen, so mir nichts, dir nichts, ohne Vorankündigung, ohne jemals krank gewesen zu sein, wenn man gelegentlichen Schnupfen oder kleine rheumatische Beschwerden außer acht läßt.
    Dr. Bairam Julianowitsch Poscharskij, der langjährige Arzt der Familie der seine außerhalb von Ulorjansk lebenden Patienten während des Winters mit dem Pferdeschlitten und im Sommer mit einem Jeep betreute, hatte nach kurzer Untersuchung festgestellt: »Meine lieben Trauernden, Wadim Igorowitsch erlag einem apoplektischen Insult …«
    Das klang vortrefflich und sehr gelehrt, aber da es niemand verstand, fragte Nina Romanowna, Babkins Witwe, eindringlich: »Er ist tatsächlich tot?«
    »So tot wie ein Fisch im vorigen Jahr«, erwiderte Dr. Poscharskij gefühlvoll. »Nehmt es tapfer hin, meine Lieben …«
    »Aber sehen Sie nur, Genosse Arzt«, sagte Boris Witalowitsch Pyljow, der Schwiegersohn Babkins und Lehrer an der Schule von Ulorjansk, »was für rote Bäckchen er hat. Richtig rote Bäckchen – wie im Leben …«
    »Das kommt vom Saufen« erklärte Dr. Poscharskij, ehrlich wie immer. »Bei einem Säufer wird die rote Haut nicht weiß, auch wenn er tot ist. Sehen Sie, Genosse Lehrer, wie tot Ihr Schwiegerväterchen ist …« Er stieß dem starren Babkin eine lange Spritzennadel in die Bauchdecke, und nichts geschah. Kein Zucken, kein Lebenszeichen; es war, als wenn man in ein Kissen sticht.
    Hier kam zum erstenmal der freudige Gedanke auf: Endlich!
    Pyljow nickte anerkennend, legte den Arm um seine Frau Nelli Wadimowna, trat ins Nebenzimmer und verkündete die frohe Botschaft:
    »Er ist wirklich tot!«
    Danach bekreuzigten sich alle und seufzten tief. Die ganze Familie war versammelt, nachdem Wadim Igorowitsch Babkin plötzlich umgekippt war und mit jungen sechzig Jahren diese Welt verlassen hatte.
    Nur Natalja, die zweite Tochter, fehlte. Sie war vor vier Jahren spurlos verschwunden, einfach verschollen, nachdem ein Lastwagenfahrer sie nach Tobolsk mitgenommen hatte.
    »Er hat sie umgebracht!« hatte Nina Romanowna tagelang geschrien, die Hände gerungen und Waninow, den Popen, angefleht, vor dem Allerheiligsten für Natalja zu beten. »Umgebracht hat er mein unschuldiges Töchterchen, mein silbernes Vögelchen … geschändet und erwürgt! So nur kann es gewesen sein, nur so! Ach, Natalja, mein Engelchen …«
    Den Lastwagenfahrer konnte natürlich niemand aufspüren, und so erklärte man nach zwei Jahren Natalja für tot, senkte einen Gedenkstein in die Erde des Friedhofs und stiftete der Kirche ein Gnadenbild. Jetzt, dachte Nina in diesen Stunden neidisch, hat Babkin als erster die Freude, Natalja im Himmel wiederzusehen. Verdient hat er es nicht, nein, wirklich nicht. Hier muß man Gottes Weisheit kritisieren …
    »Ein so guter Mensch war er«, sagte Sidor Andrejewitsch Waninow, der Pope. Er saß am Tisch, aß sauersüß eingelegte Gurken, einen riesigen Blini, den ihm Walentina, die dritte Tochter Babkins, schnell gebacken hatte, und trank verzückt eine Flasche Brombeerwein, bei dessen Zubereitung Nina Romanowna wahre Kunstfertigkeit bewies. Ihre Beerenweine waren eine hochgepriesene Ergänzung zum Wodka. Ausgefuchste Kenner mischten sie sogar mit Wodka, was ein höllisches Gesöff ergab, dem niemand widerstand.
    »Ein so treuer Mensch«, fügte Waninow hinzu und sah dabei Walentina an. Er mochte jetzt wohl an den versiegten Spendenfluß denken, denn Babkins Erben würden der Kirche gegenüber

Weitere Kostenlose Bücher