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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Nun lag er da, stumm und steif, eingerahmt von flackernden Kerzen, und erweckte trotzdem nicht den Eindruck, als wäre er tot. Der Pope Sidor Andrejewitsch Waninow, der ihn gesegnet und das Kreuz über ihn geschlagen hatte, sprach ehrfurchtsvoll, mit dumpfer Baßstimme von der Majestät des Todes, und alle, die im Nebenzimmer versammelt waren, Frau und Kinder und die besten Freunde und Nachbarn, bekreuzigten sich ebenfalls und dachten einmütig: Endlich!
    Er war schon ein merkwürdiger Toter, der gute, hochangesehene, reiche Basar-Inhaber Wadim Igorowitsch Babkin. Sein Geschäft, in dem man alles kaufen konnte, was ein Mensch so zum Leben braucht – falls die Ware vorrätig war –, befand sich am Marktplatz von Ulorjansk, also im Mittelpunkt des Städtchens. Babkins Basar war im ganzen Umkreis für reelle Preise bekannt, aber das rührte daher, daß niemand eine Vergleichsmöglichkeit hatte und notfalls hätte reklamieren können.
    Wo, zum Beispiel, konnte man erfahren, was garantiert italienische Damenschuhe sonst kosteten, wenn es im Umkreis von zweihundert Werst kein Geschäft gab, das solch eine Seltenheit führte? Daß Babkin die italienischen Schuhe durch allerlei Kreuz- und Querverbindungen vom Schuhkombinat ›Roter Adler‹ aus Perm bekam, wo in einer Seitenhalle diese eleganten Träume aus Leder gefertigt wurden, ahnte niemand. Am allerwenigsten aber wußte man, daß Babkin auch andere ›seltene Angebote‹ mit einem Gewinn von dreihundert Prozent verkaufte.
    Sein sichtbarer Wohlstand war verdient, das erkannte jeder in Ulorjansk an. Und wenn einmal – um ehrlich zu sein, geschah das öfter – eine so notwendige Ware wie gefütterte Mützen oder zu Tafeln gepreßter Tee nicht geliefert worden war, schloß sich Babkin seinen wütenden Kunden an, schimpfte kräftig auf den Fünfjahresplan, auf die Dummheit der Funktionäre und vergoß sogar Tränen mit einer Kundin, die seit einem Jahr vergeblich auf einen wollenen Unterrock wartete. Das machte Babkin beliebt, und man grüßte ihn höflich, wo immer er auftauchte.
    Der Pope Waninow nannte ihn sogar einen gottgefälligen Menschen, weil Babkin im Winter Papierblumen für den Schmuck der kleinen Kirche stiftete, Waninow öfter zum Abendessen einlud und vor sechs Jahren das große Bronzekreuz neben dem Altar aufstellen ließ, ein wundervolles Schmuckstück vor der Ikonostase.
    Ulorjansk, das möchte ich Ihnen raten, Genossen, sollten Sie sich nicht entgehen lassen, wenn Sie einmal in diesen Teil Sibiriens kommen. Das Städtchen liegt am herrlichen Fluß Tobol, an dem vor vielen Jahren der dämonische Rasputin lebte, und es hat nur einen Nachteil: Keine vernünftige Straße führt dorthin.
    Im Frühjahr bei der Schneeschmelze und im Herbst, wenn die Regengüsse vom graugrünen Himmel prasseln, ist Ulorjansk vom übrigen Leben abgeschlossen und nur mit Spezialfahrzeugen zu erreichen, etwa mit Panzern. Aber was sollen Panzer in Ulorjansk? Daß es trotzdem in diesen Monaten fast alles in Ulorjansk zu kaufen gab, war das Verdienst von Babkin. Man kann ihn also gar nicht genug loben.
    Die Frage ist nun berechtigt, wer den Wahnsinn begangen hat, hier eine Stadt zu gründen. Man muß da weit zurückgreifen, bis zu Iwan dem Schrecklichen und den unermeßlich reichen Kaufleuten Stroganoff, die den Kosaken Jermak mit einer Reiterschar von Abenteurern, Halunken und Weiberschändern losschickten mit dem Auftrag, das sagenhafte Land hinter dem Ural zu erobern und zu erforschen. Allein der gar nicht zu berechnende Reichtum dieses unendlichen Sibiriens an Nerzen, Zobeln, Blau- und Silberfüchsen, Hermelinen und Ottern in den Sümpfen und Wäldern war es wert gewesen, Jermak mit seiner Bande in diese neue Welt reiten zu lassen.
    Hier nun – so weiß es die Überlieferung – an einem Teil des Tobol, wo man früher nur mit einem Boot ans Ufer kam, weil sich ringsum nichts als Wälder und Sümpfe ausdehnten, soll Jermak ein Lager aufgeschlagen haben. Aus rohen Holzstämmen baute er eine befestigte Station, die er Kreml nannte, ließ zwölf Mann und drei Weiber darin zurück, zog weiter nach Osten und kam nie wieder.
    So, behauptet man, entstand Ulorjansk, benannt nach dem Anführer der ausgesetzten Zwölf, der Ulorjanskij hieß. Man raubte in den folgenden Jahren noch einige Frauen vom Nomadenstamm der Ewenken, und so wurde im Lauf der Jahrhunderte aus dem hölzernen Kreml des Jermak ein freundliches Städtchen.
    Genau genommen waren alle Bewohner von Ulorjansk

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