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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Bettkante zwischen zwei lange Kerzen und entfaltete seinen Zollstock. Er legte ihn an der Leiche an, maß einen Meter und zweiundachtzig in der Länge und neunundsechzig Zentimeter in der Breite – man sieht daran, daß Babkin von imponierender Statur gewesen war – notierte sich die Zahlen in seinem Maßbuch und klappte den Zollstock dann wieder zu.
    »Glaub ja nicht, Wadim Igorowitsch, daß ich dir jetzt einen besonderen Sarg anfertige«, sagte Mischin und blickte Babkin dabei in das rosige Gesicht. »Ich werde einen vorhandenen lediglich nach deinen Maßen umbauen. Wer merkt das schon? Und fertige Schnitzereien klebe ich dir rundherum, daß es aussieht, als habe ein Holzbildhauer an den Brettern gearbeitet. Glaubst du, man betrachtet den Sarg mit der Lupe? Nicht einmal der Pope wird es merken und Nina Romanowna schon gar nicht … Die wird froh sein, wenn so schnell wie möglich Erde über dich geschaufelt wird. Das ist nun einmal so, mein lieber Babkin: Im Leben hast du die Leute betrogen und dich darüber gefreut. Nun, als Toter, betrügen sie dich und freuen sich noch mehr. Ich, zum Beispiel, bekomme von Nina dreihundert Rubel, wo dein Sarg nur vierzig Rubel wert ist. Gott hab' dich selig, mein guter Wadim Igorowitsch …«
    Zufrieden kam Mischin zurück in die große Stube und nickte allen Hinterbliebenen mit leidvollem Gesicht zu. »Als wenn er schliefe …« sagte er und gab seiner Stimme einen zitternden Klang. Ein guter Sarghändler muß mit den Trauernden erschüttert sein. »Ich habe noch nie einen so schönen Toten gesehen.«
    Dann schluchzte er auf, gab Nina wieder einen Kuß und war froh, als er endlich auf dem Marktplatz stand. Die Idee mit dem umgearbeiteten Vierzig-Rubel-Sarg beschwingte ihn.
    Während er zu seiner Werkstatt zurückkehrte, dachte Mischin an verschiedene Begräbnisse, die unter seiner fachkundigen Leitung stattgefunden hatten. Am erinnerungswürdigsten waren, in seinen Augen betrachtet, die Feuerbestattungen. Natürlich gab es in Ulorjansk kein Krematorium, das lag in Tobolsk, aber wer es wollte, wurde verbrannt. Mischin sorgte für den Transport in die Hauptstadt, überwachte die Einäscherung, kam mit der Urne zurück und überreichte sie mit Tränen in den Augen den Erben.
    Man hätte Mischin weniger gelobt und ihm gar nichts bezahlt, wenn man gewußt hätte, daß er den Sarg, in dem der liebe Tote gelegen hatte und der eigentlich mit verbrannt werden mußte, unversehrt zurückbrachte und wieder in sein Lager stellte. Und die Rubel für die Blumen versoff er in Tobolsk, aber er brachte Fotos von dem mit Blumen übersäten Sarg mit – nur stammten die von anderen Beerdigungen. Wer kann so etwas wissen, ja, wer ahnt auch nur solch eine Halunkerei? Jetzt war ein gutes Geschäft mit Babkin zu machen … ein kunstvoll geschnitzter Sarg, maßgefertigt, die Arbeit eines Holzbildhauers …
    Man sieht, auch in Ulorjansk ist nicht alles so glänzend wie die grün oder blau gestrichenen Fensterläden …
    Als Wadim Igorowitsch Babkin wie vom Blitz getroffen umfiel und sich auf der Erde wiederfand, genau vor dem Regal mit den Wasch-, Putz- und Scheuermitteln, kam ihm das äußerst merkwürdig vor. Bemerkenswerter war noch, daß er sich weder rühren noch rufen konnte. Er sah alles, hörte alles, roch sogar alles, aber ansonsten lag er da auf dem Boden wie ein trockenes Stück Holz.
    Noch erstaunter war er, als sich Nina, sein Frauchen, mit einem schrillen Aufschrei neben ihm auf die Dielen warf, ihn umarmte, seine Augen küßte – was er noch nie gemocht hatte, weil die Feuchtigkeit ihrer Lippen seine Lider verklebte – und dann jammernd rief: »Oh Wadim … Wadimoschka … Wajenka … steh auf, sieh mich an, sag einen Ton! Warum liegst du denn da? Was ist passiert?«
    Babkin fand diese Fragen blöd. Wenn er sie hätte beantworten können, wäre er grob geworden. Er wollten den Kopf heben, die Beine anziehen und Ninas schmatzenden Küssen entgehen, aber nichts rührte sich. Erst als Nina zu begreifen schien und losheulte: »Tot ist er! Eine Witwe bin ich! Ich arme Frau, mein Wadim ist von mir gegangen!« verspürte Babkin ein inneres Frieren in seinem bewegungslosen Körper.
    Tot! Ich bin tot! Na, so was! Das soll ein Mensch begreifen, der noch alles sieht, hört und riecht! Alles ist wie vorher im Leben, nur bewegen kann ich mich nicht mehr. Ist das der Tod? Das sollte man den Lebenden mal erzählen, aber genau dies ist noch keinem Toten gelungen. Das ist das Fatale an der ganzen

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