Balkan Blues
Engländer, Franzosen, Portugiesen …
Erster Abend: Frankreich – Griechenland 0:1
»Paß auf, Seitaridis, Henry büchst dir gleich aus! … Nur gut, daß du den Ball ins Aus gebracht hast. Großes Talent, aber keine Erfahrung … Delias, das war göttlich! Du hast Zizou die Hosen ausgezogen! … Fyssas, du Trottel, mußt du jetzt rumdribbeln? Jetzt versteh ich, warum dich Panathinaikos als Gastarbeiter zu Benfica geschickt hat … Karagounis, gib ab an Basinas. Nicht doch, Vryssas, nicht doch! So spielt man doch nicht Fußball! Deshalb bist du bei Fiorentina gelandet! … Zagorakis, mein Alter, was für ein Haken, jetzt hast du Lizarazu stehenlassen … Flanke, mein Goldstück, Flanke, mein Süßer, Flanke … Ja … jaaaa … Auf Charisteas … Tor! Toor! Toooor! Tooooor!«
Wer hier schreit und brüllt, das ist Fanis Ousounidis, Kardiologe, Oberarzt an der Herzklinik des Allgemeinen Staatlichen Krankenhauses Athen, mein behandelnder Arzt und inoffizieller Verlobter meiner Tochter. Den Arzt Fanis Ousounidis habe ich vor vier Jahren im Allgemeinen Krankenhaus kennengelernt, und ich schätze ihn sehr. Den Fußballfan lerne ich erst heute abend kennen, und den schätze ich gar nicht.
»Beruhige dich, am Ende muß ich dich mit einem Herzanfall in deine eigene Klinik einliefern«, sage ich zu ihm.
»Hier geht’s um das Halbfinale! Wer denkt da an einen Herzanfall?« Und wie zur Illustration schreit er: »Lizarazu, Basinas! Knöpf dir Lizarazu vor!«
»Und was ist mit euren Ratschlägen an uns Patienten, daß wir uns nicht aufregen sollen?«
»Genau der richtige Zeitpunkt für eine medizinische Fachdiskussion!« entgegnet er verärgert und ohne den Blick von der Mattscheibe zu lösen.
»Laß den Mann doch in Ruhe das Spiel sehen!« mischt sich Adriani ein. »Gerade jetzt mußt du deinen Mund aufmachen? Wenn wir zwei allein sind, muß man dir jedes Wort aus der Nase ziehen.«
Es war Adrianis Idee gewesen, daß Fanis bei uns das Match gucken sollte. Sie hatte sogar angeboten zu kochen. Ich schlug ihr vor, Souflaki zu holen, da Souflaki, wie ich von meinen Assistenten wußte, zum Zeremoniell eines Fußballfernsehabends gehören. »Heute abend gibt’s Souflaki zum Fußball«, freut sich Dermitsakis jeden Mittwoch zwischen September und Mai. Adriani jedoch wischte den Vorschlag schnell vom Tisch. »Wir werden Fanis doch nicht mit Souflaki abspeisen. Laß nur, ich bereite etwas ohne Bratfett zu. Das ist bekömmlicher und schlägt einem auch während der Aufregung des Spiels nicht auf den Magen.« Sie kochte Hackfleischbuletten und Zucchinipitta. Äußerst schmackhaft, aber Souflaki sind doch ein anderes Kaliber, da kann man sagen, was man will.
Fanis blickt alle naselang auf seine Uhr. »Fünf Minuten noch, meine Griechen! Fünf Minuten noch, dann stehen wir im Halbfinale!« ruft er.
Draußen ist ein ohrenbetäubendes Hupkonzert zu hören.
»Was feiern die denn? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben«, bemerkt Adriani, da der Ball auf dem Bildschirm immer noch hin- und hergekickt wird.
»Das ist wie bei der Ostersuppe, die fängt man auch schon vor der Auferstehung zu essen an!«
»Pfeif endlich ab, komm schon! Pfeif ab, mach!« fleht Fanis. »Mußt du die Nachspielzeit bis zur letzten Sekunde ausreizen? Aber was kann man von einem schwedischen Federfuchser anderes erwarten?« Scheinbar hat der Schwede ihn gehört, denn trotzig quält er ihn noch eine Minute länger, bevor er abpfeift.
»Wir sind weiter! Wir sind im Halbfinale!« Fanis springt auf und hüpft mit hochgerissenen Armen und geballten Fäusten durch die Wohnung. Kaum zu glauben, daß dieser Mann am Morgen noch Kardiogramme gemacht und Rezepte ausgestellt hat. Er faßt mich am Arm und zieht mich mit sich fort. »Komm, gehen wir!«
»Wohin denn?«
»Zum Omonia-Platz, zum Syntagma-Platz, irgendwohin! Heute abend geht es in Athen hoch her, Kommissar!«
»Was du nicht sagst! Und überhaupt: Was haben wir denn damit zu tun?«
Er blickt mich an, als könne er seinen Ohren nicht trauen. »Du willst an so einem Abend zu Hause bleiben?«
»Recht hat er!« sekundiert Adriani. »Wann haben wir denn zum letzten Mal etwas zu feiern gehabt? Wenn ich da an die Rüffel denke, die wir uns wegen der Zypernfrage und wegen Mazedonien eingehandelt haben.«
Das sagt sie weniger, weil sie feiern möchte, sondern weil sie unsere eheliche Beziehung als Preference-Spiel auffaßt und stets mit dem Dritten gegen mich spielt, als wäre ich der Abzocker. Ich gebe
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