Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
von der Zeitung.« »Na?«
»Ich war neugierig darauf zu sehen, wo du wohnst, und zudem bringe ich dir etwas mit.«
Er zog ein helles Pergamentkuvert aus der Jacketttasche und reichte es mir.
»Der ist heute in die Redaktion gekommen, zu deinen Händen.«
Ich ergriff den Umschlag und prüfte ihn. Er war mit einem Lacksiegel verschlossen, auf dem man eine geflügelte Figur erkennen konnte. Ein Engel. Sonst trug er nur meinen in erlesener scharlachroter Handschrift hingemalten Namen.
»Von wem ist er?«, fragte ich neugierig.
Vidal zuckte die Schultern.
»Von irgendeinem Bewunderer. Oder einer Bewundererin. Ich weiß es nicht. Mach ihn auf.«
Behutsam öffnete ich ihn und zog ein zusammengefaltetes Blatt heraus, auf dem in derselben Schrift Folgendes zu lesen war:
Lieber Freund,
ich erlaube mir, Ihnen zu schreiben, um Ihnen meine Bewunderung zu übermitteln und Sie zum Erfolg zu beglückwünschen, den Sie mit Die Geheimnisse von Barcelona auf den Seiten der Stimme der Industrie in diesen Wochen erzielt haben. Als Leser und Liebhaber guter Literatur entdecke ich mit großem Vergnügen eine neue Stimme voller Talent, Jugend und Verheißung. Erlauben Sie mir also, Sie zum Zeichen meiner Dankbarkeit für die angenehmen Stunden, die mir die Lektüre Ihrer Erzählungen beschert hat, heute Abend um zwölf Uhr in ›Die Träumerei‹ im Raval zu einer kleinen Überraschung einzuladen, die Ihnen hoffentlich zusagt. Man wird Sie erwarten. Herzlich,
A. C.
Vidal, der über meine Schulter hinweg mitgelesen hatte, zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Interessant«, murmelte er.
»In welcher Beziehung interessant?«, fragte ich. »Was für eine Art Lokal ist ›Die Träumerei‹?«
Vidal nahm eine Zigarette aus seinem Platinetui.
»Doña Carmen gestattet das Rauchen in der Pension nicht«, sagte ich.
»Warum nicht? Verdirbt der Rauch den Kloakenduft?«
Er steckte sich die Zigarette an und genoss sie doppelt, wie man alles Verbotene genießt.
»Hast du einmal eine Frau erkannt, David?«
»Erkannt? Aber sicher. Eine Menge.«
»Ich meine im biblischen Sinne.«
»In der Messe?«
»Nein, im Bett.«
»Aha.«
»Und?«
Tatsächlich hatte ich für einen Mann wie Vidal nicht viel Beeindruckendes zu erzählen. Meine Jugendabenteuer und Liebeleien hatten sich bis dahin durch ihren Anstand und einen bemerkenswerten Mangel an Originalität ausgezeichnet. Mein kurzer Katalog an Schäkereien und in Hauseingängen und dunklen Kinosälen geraubten Küssen konnte keineswegs darauf hoffen, der Aufmerksamkeit dieses Meisters in den Künsten und Kenntnissen von Barcelonas Boudoirs wert zu sein.
»Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«
Vidal setzte eine Oberlehrermiene auf und hob zu einem seiner Vorträge an.
»In meiner Jugendzeit war es zumindest bei jungen Herren aus besserem Haus wie mir üblich, sich durch eine Frau vom Fach in dieses Gebiet einweihen zu lassen. Als ich in deinem Alter war, brachte mich mein Vater, der Stammgast der besten Etablissements der Stadt war und noch immer ist, an einen Ort namens ›Die Träumerei‹, wenige Meter von dem makabren Palast entfernt, den unser lieber Graf Güell von Gaudi unbedingt nahe den Ramblas gebaut haben wollte. Sag nicht, du hast noch nie von ihm gehört.«
»Vom Grafen oder vom Bordell?«
»Sehr witzig. ›Die Träumerei‹ war ein elegantes Etablissement für eine erlesene Kundschaft mit Geschmack. Eigentlich dachte ich, es sei schon seit Jahren geschlossen, aber offenbar ist das nicht der Fall. Im Gegensatz zur schönen Literatur sind einige Branchen dauernd im Aufwind.«
»Verstehe. Ist das eine Idee von Ihnen? Eine Art Scherz?«
Vidal schüttelte den Kopf.
»Dann also von einem der Redaktionsidioten?«
»Ich höre eine gewisse Feindseligkeit aus deinen Worten heraus, aber ich habe meine Zweifel, ob sich jemand, der als einfacher Soldat im edlen Pressewesen tätig ist, die Honorare eines Lokals wie ›Die Träumerei‹ leisten kann, wenn es denn das ist, das ich in Erinnerung habe.«
»Ist ja auch egal, ich habe nicht vor hinzugehen«, schnaubte ich.
Vidal hob die Brauen.
»Sag jetzt nicht, du seist kein so gottloser Mensch wie ich und wollest reinen Herzens und Unterhöschens ins Hochzeitsbett steigen, eine lautere Seele, deren höchster Wunsch es ist, auf jenen magischen Augenblick zu warten, da dich die echte Liebe die Ekstase von Körper und Seele in vom Heiligen Geist gesegnetem Unisono entdecken und so die Welt mit Kinderchen
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