Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
von Vidal kultivierten Charakter des gütigen Aristokraten zurechnen sollte – fehlte nur noch, dass er, in einen leuchtenden Nimbus gehüllt, einem verwaisten Hirtenmädchen erschien.
»Du machst wieder dieses Halunkengesicht, wie immer, wenn du boshaften Gedanken nachhängst«, sagte Vidal. »Was heckst du aus?«
»Nichts. Ich dachte nur, wie gütig Sie doch sind, Don Pedro.«
»In deinem Alter und deiner Lage öffnet Zynismus keine Türen.«
»Das erklärt alles.«
»Komm schon, grüß den guten Manuel, der sich immer nach dir erkundigt.«
Ich lehnte mich aus dem Fenster, und als mich der Fahrer erblickte, der mich stets wie einen feinen jungen Herrn und nicht als den Tölpel behandelte, den ich in Wirklichkeit darstellte, winkte er mir aus der Ferne zu. Ich grüßte zurück. Auf dem Beifahrersitz saß seine Tochter Cristina, ein junges blasshäutiges Mädchen mit schmalen, wie gemalten Lippen, das zwei Jahre älter war als ich und mir den Atem nahm, seit ich sie zum ersten Mal bei einer Einladung in die Villa Helius gesehen hatte.
»Starr sie nicht so an, sonst zerbrichst du sie noch«, murmelte Vidal hinter mir.
Ich wandte mich um und sah, dass er seine Machiavelli-Miene aufgesetzt hatte, die eigens für Dinge des Herzens und anderer edler Weichteile reserviert war.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Welch große Wahrheit«, antwortete Vidal. »Nun, was gedenkst du hinsichtlich des heutigen Abends zu tun?«
Ich las das Billett noch einmal durch und zögerte.
»Gehen Sie in diese Art Lokale, Don Pedro?«
»Seit ich fünfzehn wurde, habe ich für keine Frau mehr bezahlt, und eigentlich bezahlte damals ja mein Vater«, antwortete er ohne jede Prahlerei. »Aber einem geschenkten Gaul …«
»Ich weiß nicht, Don Pedro …«
»Natürlich weißt du es.«
Auf dem Weg zur Tür klopfte er mir leicht auf die Schulter.
»Es bleiben dir sieben Stunden bis Mitternacht. Ich sage das nur, falls du noch ein Nickerchen machen und Kräfte sammeln willst.«
Ich schaute aus dem Fenster und sah ihn zum Auto gehen. Manuel hielt ihm die Tür auf, und Vidal ließ sich träge auf den Rücksitz fallen. Ich hörte den Motor des Hispano-Suiza seine Kolben- und Ventilsinfonie entfalten. In diesem Augenblick schaute die Tochter des Fahrers, Cristina, zu meinem Fenster herauf. Ich lächelte ihr zu, merkte aber, dass sie sich nicht mehr an mich erinnerte. Gleich sah sie wieder weg, und Vidals Karosse fuhr ihn zurück in seine Welt.
3
In jenen Tagen bildete die Calle Nou de la Rambla im finsteren Raval-Viertel einen Korridor aus Straßenlaternen und Leuchtreklamen. Nachtklubs, Ballsäle und zwielichtige Lokale drängten sich auf beiden Seiten zwischen Geschäften, die sich auf Gummiwaren, Spülungen und auf die Behandlung von Geschlechtskrankheiten spezialisiert hatten und bis zum Morgengrauen geöffnet waren. Von jungen Gecken bis zu den Matrosen der im Hafen ankernden Schiffe mischten sich hier Menschen jeglichen Schlages mit exzentrischen Gestalten, die nur in Erwartung der Dunkelheit lebten. Beiderseits der Straße öffneten sich enge, dunstverhangene Gässchen, deren Bordelle zunehmend an Eleganz verloren.
›Die Träumerei‹ belegte die obere Etage eines Hauses, in dessen Erdgeschoss ein Varieté weithin sichtbar den Auftritt einer Tänzerin verhieß, deren knappe transparente Toga kein Geheimnis aus ihren Reizen machte, während die gespaltene Zunge der schwarzen Schlange auf ihren Armen sie auf die Lippen zu küssen schien. Eva Montenegro und der Todestango, verkündete das Plakat in großen Lettern. Die Königin der Nacht in sechs exklusiven Abendvorstellungen – keine Verlängerung. Unter Mitwirkung von Mesmero, dem Star der Gedankenleser, der Ihre intimsten Geheimnisse enthüllen wird.
Hinter einer schmalen Tür neben dem Lokaleingang führte eine lange Treppe zwischen rot gestrichenen Wänden hinauf. Ich gelangte vor eine große gearbeitete Eichentür mit Schnitzereien und einer Bronzenymphe als Klopfer, deren Scham von einem bescheidenen Kleeblatt verdeckt wurde. Ich ließ die Nymphe zweimal gegen die Tür fallen und vermied, während des Wartens in den großen Rauchglasspiegel zu sehen, der einen guten Teil der Wand einnahm. Ich war drauf und dran, wieder Reißaus zu nehmen, als die Tür aufging und eine Frau mittleren Alters mit im Nacken geknotetem schneeweißem Haar mir fröhlich zulächelte.
»Sie sind bestimmt Señor David Martín.«
In meinem ganzen Leben hatte mich noch niemand Señor
Weitere Kostenlose Bücher