Baudolino - Eco, U: Baudolino
Armenier betrachteten euch als Brüder. Sie sind Schismatiker wie ihr, sie verehren die heiligen Bilder nicht, sie verwenden im Gottesdienst ungesäuertes Brot.«
»Sie sind gute Christen. Einige von ihnen sprachen sofort im Namen ihres Fürsten Leo und sicherten uns Beistand und freien Durchzug durch ihr Land zu. Dass dieDinge jedoch nicht so einfach waren, haben wir dann in Adrianopel begriffen, als auch eine Gesandtschaft von Kilidsch Arslan eintraf, dem seldschukischen Sultan von Ikonion, der sich Herr der Türken und der Syrer, aber auch der Armenier nannte. Wer hatte bei denen das Sagen, und wo?«
»Kilidsch wollte die Vormachtstellung Saladins brechen und hätte gern das christliche Reich der Armenier erobert, daher hoffte er, dass Friedrichs Armee ihm dabei helfen könnte. Die Armenier vertrauten darauf, dass Friedrich die Ansprüche Kilidschs zurückdrängen würde. Unser Basileus Isaakios, dem noch die gegen die Seldschuken erlittene Niederlage von Myriokephalon in den Knochen saß, hoffte seinerseits, dass Friedrich mit Kilidsch zusammenstieß, aber es hätte ihm auch nicht missfallen, wenn er mit den Armeniern zusammengestoßen wäre, die unserem Reich nicht wenig Verdruss bereiteten. Als er dann erfuhr, dass sowohl die Seldschuken wie die Armenier eurem Kaiser den Durchzug durch ihre Länder erlaubt hatten, da ist ihm klar geworden, dass er seinen Marsch nicht anhalten, sondern beschleunigen musste, indem er ihm erlaubte, den Hellespont zu überqueren. Er ließ ihn auf seine Feinde los und entfernte ihn damit zugleich von uns.«
»Mein armer Vater. Ich weiß nicht, ob er ahnte, dass er eine Waffe in den Händen einer Bande von über Kreuz miteinander Verfeindeten war. Oder vielleicht hatte er es begriffen, aber gehofft, sie alle besiegen zu können. Was ich weiß, ist jedoch, dass ihn die Aussicht auf ein Bündnis mit einem christlichen Reich jenseits von Byzanz, dem armenischen, innerlich bebend an sein letztes Ziel denken ließ. Er träumte davon – und ich mit ihm –, dass die Armenier ihm den Weg zum Reich des Priesters Johannes öffnen könnten ... In jedem Fall war es, wie du sagst: Nach den Botschaften der Seldschuken und der Armenier hat euer Isaakios uns die Schiffe zum Übersetzen gegeben. Und es war genau da am Hellespont, in Kalliupolis, wo ich dich zum ersten Mal sah, als du uns im Namen deines Basileus die Schiffe anbotest.«
»Das war für uns keine leichte Entscheidung gewesen«, sagte Niketas. »Der Basileus lief dadurch Gefahr, sich ineinen Konflikt mit Saladin zu bringen. Er musste Boten zu ihm schicken, um ihm die Gründe seines Nachgebens zu erklären. Saladin, der ein großer Herr war, begriff sofort und trug uns die Sache nicht weiter nach. Ich sagte neulich schon: Von den Türken haben wir nichts zu befürchten, unser Problem seid immer nur ihr Schismatiker.«
Niketas und Baudolino sahen ein, dass es nicht gut war, sich gegenseitig die Kränkungen und die Gründe jener längst vergangenen Angelegenheit vorzuhalten. Vielleicht hatte Isaakios recht, jeder christliche Pilger, der durch Byzanz kam, war stets versucht, dort zu bleiben, wo es so viele schöne Dinge zu erobern gab, anstatt weiterzuziehen und seine Haut unter den Mauern von Jerusalem zu riskieren. Aber Friedrich wollte tatsächlich weiter.
Sie erreichten also Kalliupolis, und obwohl es nicht Konstantinopel war, sahen die Kreuzpilger sich doch verführt von der prächtigen Stadt mit dem Hafen voller Galeeren und Dromonen, die bereitlagen, um Pferde, Reiter und Proviant an Bord zu nehmen. Das ließ sich nicht an einem Tag bewerkstelligen, und in der Zwischenzeit hatten unsere Freunde nichts zu tun. Schon zu Anfang der Reise hatte Baudolino beschlossen, Zosimos für etwas Nützliches zu gebrauchen, und so nötigte er ihn jetzt, seinen Reisegefährten ein wenig Griechisch beizubringen. »Wo wir hingehen«, sagte er, »versteht niemand Latein, ganz zu schweigen von Tiutsch und Provenzalisch und meiner Sprache. Beim Griechischen dagegen besteht immer ein bisschen Hoffnung, dass man sich verständigen kann.« So wurde ihnen, zwischen einem Besuch im Bordell und einer Lesung in Texten der Ostkirchenväter, die Wartezeit nicht allzu lang.
Am Hafen gab es einen weitläufigen Markt, und sie beschlossen, sich dort einmal umzusehen, verlockt von fernem Gefunkel und Gerüchen von Spezereien. Zosimos, dem sie die Fesseln abgenommen hatten, damit er ihnen als Führer dienen konnte (aber streng bewacht von Boron, der ihn
Weitere Kostenlose Bücher