Baudolino - Eco, U: Baudolino
ganzen Leben, glaube ich. Ich bin vor ihn hingetreten, um ihm zu huldigen, und ich war wirklich froh für ihn, aber er hat mir nur zerstreut gedankt.«
»Ich finde, du ähnelst mir, Baudolino. Auch ich beschäftige mich beim Schreiben der Chroniken meines Reiches besonders mit den kleinen Neidereien, den Hass- und Eifersuchtsgefühlen, die sowohl die Familien der Mächtigen als auch die großen öffentlichen Unternehmungen erschüttern. Auch Kaiser sind Menschen, und die Geschichte ist auch Geschichte ihrer Schwächen. Aber sprich weiter.«
»Nachdem Ikonion erobert war, schickte Friedrich sofort Botschafter zu Fürst Leo von Armenien mit der Bitte, ihn beim Durchzug durch sein Gebiet zu unterstützen. Es gab ein Bündnis, die Armenier selbst hatten es versprochen. Trotzdem hatte Leo noch niemanden geschickt, uns zu empfangen. Vielleicht fürchtete er so zu enden wie der Sultan von Ikonion. So zogen wir weiter, ohne zu wissen, ob wir Hilfe bekommen würden, geführt von Ardzrouni, der uns versicherte, dass die Abgesandten seines Fürsten bald kämen. Eines Tages im Juni, als wir uns nach Süden gewandt und Laranda passiert hatten, stießen wir ins Taurusgebirge vor, und da endlich sahen wir Friedhöfe mit Kreuzen. Wir waren in Kilikien, auf christlichem Boden. Sogleich empfing uns der armenische Herr von Sibilia, und ein Stück weiter, an einem verfluchten Fluss, von dem ich auch den Namen am liebsten vergessen will, begegneten wir einer Gesandtschaft von Leo. Kaum hatten wir sie inder Ferne gesichtet, gab Ardzrouni zu verstehen, dass es besser sei, wenn er sich nicht sehen lasse, und verschwand. Wir wurden von zwei Würdenträgern begrüßt, die sich als Constant und Baldouin de Camardeis vorstellten, und nie habe ich Botschafter gesehen, die sich unbestimmter ausdrückten. Der eine kündigte uns die baldige Ankunft des Fürsten Leo und des Katholikos Gregor mit großem Gefolge an; der andere gab uns weitschweifig mit vielem Hin und Her zu verstehen, dass der armenische Fürst, wiewohl begierig darauf, dem Kaiser zu helfen, nicht gut dem Sultan Saladin zeigen könne, wie er seinen Feinden den Weg öffne, weshalb er sich sehr vorsehen müsse.«
Als die Gesandten fort waren, kam Ardzrouni wieder zum Vorschein und tuschelte mit Zosimos, der sich danach zu Baudolino begab und mit diesem zu Friedrich.
»Ardzrouni sagt, es liege ihm fern, seinen Herrn zu verraten, doch er habe den Verdacht, dass es für Leo ein Glück wäre, wenn du hier haltmachen würdest.«
»Was soll das heißen?« erboste sich Friedrich. »Will er mir Wein und Mädchen anbieten, damit ich vergesse, dass ich nach Jerusalem muss?«
»Wein vielleicht schon, aber vergifteten. Er sagt, du solltest dich an den Brief der Königin Sibylla erinnern«, sagte Zosimos.
»Woher weiß er von dem Brief?«
»Man hört so dies und das. Wenn Leo deinen Marsch zum Stehen bringen würde, täte er Saladin einen großen Gefallen, und Saladin könnte ihm helfen, seinen Traum zu erfüllen und Sultan von Ikonion zu werden, nachdem Kilidsch und seine Söhne nun so schmachvoll besiegt worden sind.«
»Und warum sorgt sich Ardzrouni so sehr um mein Leben, dass er sogar seinen Herrn verrät?«
»Nur Unser Herr Jesus Christus gab sein Leben aus Liebe zur Menschheit. Das Menschengeschlecht, das in Sünde geboren ist, gleicht dem der Tiere: Auch die Kuh gibt dir nur Milch, wenn du ihr Heu gibst. Was lehrt uns diese heilige Maxime? Dass Ardzrouni es nichtverschmähen würde, eines Tages den Platz von Leo einzunehmen. Ardzrouni wird von vielen Armeniern geschätzt, Leo nicht. Wenn er sich also die Dankbarkeit des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches erwürbe, könnte er eines Tages auf den mächtigsten aller Freunde vertrauen. Deshalb schlägt er dir vor, bis zu seiner Burg Dadschig weiterzuziehen, immer am Ufer dieses Flusses entlang, und deine Leute dort lagern zu lassen. Bis sich herausstellt, was Leo wirklich zusichert, könntest du bei ihm wohnen, sicher vor jedem Anschlag. Auch empfiehlt er dir, von jetzt an vorsichtig mit den Speisen und Getränken zu sein, die dir einer seiner Landsleute anbieten könnte.«
»Zum Teufel«, polterte Friedrich los, »seit einem Jahr stolpere ich hier von einem Vipernnest ins andere! Meine braven deutschen Fürsten waren Engel im Vergleich dazu und sogar – jawohl, stell dir vor –, sogar diese überaus treulosen Mailänder, die mir so viel Ärger gemacht haben, aber die haben mich wenigstens auf offenem Feld angegriffen und
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