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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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und dann blieb nur, weiter in Richtung Indien zu ziehen. Doch gerade bei dieser Gelegenheit musste Baudolino entdecken, wie unsicher und müde sich Friedrich in Wirklichkeit fühlte. Er hatte Italien befriedet, aber er fürchtete offenbar, wenn er fortginge, würde er das Erreichte wieder verlieren. Oder vielleicht quälte ihn auch die Vorstellung einer erneuten Expedition nach Palästina, weil sie ihn an seine Verfehlung während der letzten Expedition erinnerte, als er, getrieben von seinem Jähzorn, jenes bulgarische Kloster vernichtet hatte. Wer weiß. Er zögerte jedenfalls. Er fragte sich, was seine Pflicht war, und wenn man sich diese Frage zu stellen beginnt – sagte sich Baudolino –, ist das schon ein Zeichen dafür, dass man sich nicht wirklich verpflichtet fühlt.
     
    »Nun, Kyrios Niketas, ich war fünfundvierzig Jahre alt und riskierte, den Traum meines Lebens zu verspielen beziehungsweise mein Leben selbst, da ich mein Leben um diesen Traum herum aufgebaut hatte. So beschloss ich kaltblütig, im Vertrauen auf meinen guten Stern, meinem Adoptivvater eine Hoffnung zu geben, ein himmlisches Zeichen für seine Mission. Nach dem Fall von Jerusalem trafen in unseren christlichen Ländern viele Flüchtlinge ein, und so waren an den kaiserlichen Hof sieben Tempelritter gekommen, die sich, Gott weiß wie, der Rache Saladinshatten entziehen können. Sie waren halb verhungert, aber du weißt vielleicht nicht, was für Leute diese Templer sind: Säufer und Hurenböcke, sie verkaufen dir ihre Schwester, wenn du ihnen deine zum Vernaschen gibst – und lieber noch, heißt es, deinen Bruder. Kurzum, sagen wir, ich gab ihnen Labung, und alle sahen mich mit ihnen durch die Kneipen ziehen. Daher war es für mich nicht schwer, eines Tages dem Kaiser zu erzählen, diese schamlosen Simonisten hätten in Jerusalem nichts Geringeres als den Gradal entwendet. Und da diese Templer inzwischen so gut wie am Ende gewesen seien, hätte ich unter Aufbietung meiner gesamten Ersparnisse ihnen den Gradal abgekauft. Natürlich war Friedrich zuerst völlig verblüfft. Ja, befand sich denn der Gradal nicht in den Händen dieses Priesters Johannes, der ihn doch gerade ihm, dem Kaiser, hatte schenken wollen? Und hatte man nicht beschlossen, diesen Johannes aufzusuchen, eben um von ihm diese hochheilige Reliquie als Geschenk entgegenzunehmen? Jawohl, so war es, mein Vater, sagte ich, aber offenbar hat sie irgendein treuloser Diener dem Johannes gestohlen und an einige Templer verkauft, die zum Beutemachen gekommen waren, ohne zu wissen, wo sie sich befanden. Aber es ging nicht darum, das Wie und Wo zu wissen, sagte ich weiter. Es bot sich dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches eine neue, vielleicht einmalige Gelegenheit: den Priester Johannes aufzusuchen, um ihm den Gradal zurückzubringen . Also nicht jene unvergleichliche Reliquie zu benutzen, um Macht zu gewinnen, sondern um eine Pflicht zu erfüllen – so würde er sich die Dankbarkeit des Priesters und ewigen Ruhm in der ganzen Christenheit erwerben. Wenn man die Wahl hatte, sich den Gradal anzueignen oder ihn zurückzuerstatten, ihn eifersüchtig für sich zu behalten oder ihn dorthin zurückzubringen, von wo er gestohlen worden war, ihn zu haben oder ihn zu verschenken, ihn zu besitzen (wovon alle träumen) oder das erhabene Opfer zu vollbringen, auf ihn zu verzichten – es war klar, auf welcher Seite die wahre Salbung winkte, der Ruhm und die Ehre, der einzige wahre Rex et Sacerdos zu sein. Friedrich wurde der neue Joseph von Arimathia.«
    »Du hast deinen Vater belogen.«
    »Ich tat es zu seinem Wohl und zu dem des Reiches.«
    »Hast du dich nicht gefragt, was geschehen würde, wenn dein Kaiser tatsächlich zu jenem Priester gelangt wäre und ihm den Gradal überreicht hätte, und wenn der also Beschenkte dann nur verständnislos geguckt und gefragt hätte, was denn diese Holzschüssel solle, die er noch nie gesehen habe? Dein Kaiser wäre nicht zum Ruhm der Christenheit, sondern zu ihrem Narren geworden.«
    »Kyrios Niketas, du kennst die Menschen besser als ich. Stell dir vor, du wärst der Priester Johannes, vor dir kniet ein großer Kaiser des Abendlandes, überreicht dir eine Reliquie dieses Kalibers und sagt, sie sei dein, du wärst ihr rechtmäßiger Besitzer – fängst du dann an zu grinsen und sagst, diesen Trinknapf hättest du noch nie gesehen? Also hör mal! Ich sage ja nicht, dass der Priester Johannes bloß so getan hätte, als ob er ihn wiedererkannte. Ich

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