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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Augenblicke, in denen sie geradezu fiebrig angespannt waren, und andere, in denen sie schläfrig dösten. Zahllose Tage verbrachten sie mit der bloßen Überlebenssicherung, indem sie flüchtenden Tieren nachsetzten, mit örtlichen Wilden über einen Fladen oder ein Stück Lamm verhandelten oder versiegende Quellen entdeckten in Ländern, wo es nur einmal jährlich regnete. Und außerdem, sagte sich Niketas, wenn man so durch Wüsten reist unter einer Sonne, die einem ins Hirn sticht, dann kommt es doch vor, erzählen Reisende, daß man von Luftspiegelungen getäuscht wird, daß man nachts Stimmen in den Dünen hört und daß man, wenn man
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    einen Strauch findet, Gefahr läuft, von Beeren zu kosten, die anstatt zu nähren einem den Magen umdrehen.
    Zu schweigen davon, daß Baudolino, wie Niketas recht gut wußte, von Natur aus nicht gerade aufrichtig war, und wenn es schon schwer ist, einem Lügner zu glauben, der einem zum Beispiel erzählt, er sei in Ikonion gewesen, wie dann erst einem, der behauptet, Wesen gesehen zu haben, die auch die glühendste Phantasie sich nur mit Mühe vorstellen kann und bei denen er selber nicht sicher ist, ob er sie wirklich gesehen hat? An eines hatte Niketas beschlossen zu glauben, weil man die
    Leidenschaft, mit der Baudolino davon sprach, als ein Zeugnis der Wahrheit ansehen konnte: daß unsere zwölf Magier während ihrer ganzen Reise stets vom Verlangen getrieben waren, ihr Ziel zu erreichen. Welches freilich für jeden von ihnen ein anderes war: Boron und Kyot wollten nur den Gradal
    wiederfinden, auch wenn er nicht im Reich des Priesters gelandet war; Baudolino wollte dieses Reich immer sehnlicher finden, und mit ihm Rabbi Solomon, der dort seine zehn
    verstreuten Stämme zu finden hoffte; der Poet suchte irgendein Reich, mit oder ohne Gradal; Ardzrouni wollte nur weg von da, wo er herkam, und Abdul, man kann sich's schon denken, war überzeugt, je weiter er in die Ferne ging, desto näher käme er dem Objekt seiner überaus keuschen Begierde.
    Die Gruppe der Alexandriner war die einzige, die mit beiden Beinen auf dem Boden zu gehen schien, sie hatten einen Pakt mit Baudolino geschlossen und folgten ihm aus Solidarität, oder vielleicht aus Dickköpfigkeit, denn wenn man einen Priester Johannes finden will, muß man ihn finden, sonst wird man, wie Aleramo Scaccabarozzi genannt il Ciula sagte, von den Leuten nicht mehr ernst genommen. Aber vielleicht gingen sie auch deshalb treu und brav mit, weil der Boidi sich in den Kopf gesetzt hatte, daß sie, einmal ans Ziel gelangt, sich dort mit wunderbaren Reliquien eindecken würden (und nicht mit
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    falschen wie diesen Täuferköpfen), um sie ins heimatliche Alexandria zu bringen und so diese noch geschichtslose Stadt in den meistbesuchten Wallfahrtsort der Christenheit zu
    verwandeln.
    Ardzrouni hatte sie, um den Türken von Ikonion aus dem Weg zu gehen, zuerst über einige Bergpässe geführt, auf denen die Pferde Gefahr liefen, sich ein Bein zu brechen, dann sechs Tage lang durch ein steiniges Gelände, das übersät war mit Leichen von handgroßen Eidechsen, die an Flitzschlag gestorben waren.
    Ein Glück, daß wir genug zu essen mithaben und nicht diese ekligen Viecher essen müssen, sagte der Boidi ganz erleichtert -
    und täuschte sich, denn ein Jahr später hätte er noch weit ekligere Echsen genommen, hätte sie auf einen Zweig gespießt geröstet und zugesehen, während ihm das im Munde

zusammengelaufene Wasser schon aufs Kinn troff, wie diese Leckerbissen schön braun brutzelten.
    Hin und wieder kamen sie auch durch Dörfer, und in jedem zeigten sie den Zosimos-Popanz. Ja, sagte jemand, genau so ein Mönch ist hier vorbeigekommen, er ist einen Monat geblieben, und dann hat er sich aus dem Staub gemacht, weil er meine Tochter geschwängert hatte... Aber wie kann er denn einen Monat geblieben sein, wenn wir erst seit zwei Wochen
    unterwegs sind? Wann war denn das? Och, das kann vor sieben Ostern gewesen sein, seht das grindige Kind dort, das ist die Frucht seiner Sünde. Ach so, dann war's gar nicht er, diese schmuddeligen Mönche sehen doch alle gleich aus. Oder auch: Ja, scheint so, genau mit so einem Bart, vor drei Tagen etwa, ein sympathischer Buckliger. Aber wenn er bucklig war, kann er's auch nicht gewesen sein. Baudolino, bist du sicher, daß du diese Sprache wirklich verstehst, oder übersetzt du uns einfach, was dir gerade in den Sinn kommt? Oder auch: Ja, ja, klar haben wir den gesehen, der da war's -

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