Beautiful Americans - 03 - Leben á la carte
Stimme schwingt ein Unterton mit, der mir sagt, dass sie langsam Panik beschleicht. »Ich denke, dass sie vielleicht gar nicht zurückkommt.«
»Was?« Ich bin noch immer nicht darüber weg, dass Alex Nguyen babysittet. »Woher willst du wissen, dass sie sich nicht einfach verspätet oder so was?«
Sie verdreht die Augen und wirft sich mit einer schwungvollen Geste die glänzenden dunklen Haare zurück. Da schimmert auf einmal wieder die alte Alex durch - die, mit der ich so eng befreundet war. Mit einem heftigen Stich wird mir bewusst, wie sehr ich ihre sarkastische Art vermisst habe.
Als sie schon kurz davor ist, ihre Wohnungstür zu öffnen, wendet sie sich noch mal kurz mir zu und verkündet in trockenem Ton: »Du hast ihre Kinder noch nicht kennengelernt.«
19 • ALEX
Ein Sack Flöhe
Ich gehe mit Zack zur Wohnung von Mme Sanxay zurück. Als ich seine SMS bekommen habe, habe ich die Kinder kurzerhand in der Obhut eines dreizehnjährigen Nachbarmädchens gelassen - sie war die Einzige, die im ganzen Stockwerk zu Hause war! Kaum haben wir die Wohnungstür aufgeschlossen, springt das pubertierende Mädchen auch schon von der Couch und schießt wie von der Tarantel gestochen ins Treppenhaus. Dabei murmelt sie leise etwas auf Französisch. Es klingt bitterböse, aber ich mache mir nicht die Mühe, es zu verstehen. Allerdings könnte man sie ohnehin nicht verstehen, angesichts des Lärmpegels, der in dem Apartment herrscht. Von den Vibrationen wackeln praktisch die Bilder an der Wand.
»Willkommen zu meinem Nachmittagsjob!«, schreie ich über den Krach hinweg, während ich Zack hereinlasse. »Die Wochenendversion.«
Charles, das Baby, brüllt in seinem Laufstall wie am Spieß. Er riecht wie ein wandelndes Klo, und ich weiß sofort, dass wieder ein Windelwechsel ansteht. Er hat heute tagsüber noch gar nicht geschlafen. Aus irgendeinem Grund lässt er sich nicht beruhigen. Er muss schlafen, damit er sich besser fühlt, aber das scheint er irgendwie nicht zu begreifen.
Was die beiden anderen Kinder betrifft, Albert und Emeline, so hatten diese jede Menge Wut- und Trotzanfälle, nachdem ich sie dafür bestrafen musste, dass sie heimlich in Mme Sanxays Zimmer geschlichen sind. Denn die hat nun mehr Panik denn je, dass Emeline all ihre schönen Sachen zerstört. Im Schrank ihrer Mom haben die beiden die versteckten Osterkörbchen von La Mère de Familie gefunden, einem Süßigkeitenladen im 6. Arrondissement. Als ich gesehen habe, wie schön die Körbchen verpackt waren, habe ich mir ausgemalt, wie Mme Sanxay mit dem Gedanken in den Laden gegangen ist, dass sie sich mit ihren Kindern versöhnen will, indem sie ihnen außergewöhnliche Schokolade und Lutscher und alles Erdenkliche kauft, was diese sich am Pâques -Sonntag nur wünschen können. Bestimmt war sie schon voller Vorfreude, sie damit zu überraschen, ging es mir durch den Kopf. Ich empfand eine Art trauriges Mitgefühl für Mme Sanxay, das mir irgendwie unangenehm war und mich nervös machte. Ich räumte das Chaos so schnell auf, wie es ging, und stopfte alles wieder in den Schrank zurück. Damit werde ich mich später beschäftigen, dachte ich. Was immer passiert, ich muss auf jeden Fall dafür sorgen, dass ich keine Szene mehr erlebe wie die mit dem zerschnittenen Tuch.
Die älteren Kinder waren den ganzen Tag über ziemlich aggressiv. Anscheinend ist Emeline die ganze Nacht wach gewesen und hat von Mme Sanxay gefordert, dass sie M. Sanxay zurückholen solle, und keiner hat ein Auge zugetan. Jetzt, mit dem Anstieg des Zuckerspiegels und dem darauffolgenden jähen Abfall, gebärden sie sich wie Monster. Mit einem wachsamen Auge zeige ich sie Zack. »Auf die musst du besonders gut achtgeben«, schreie ich. »Sie haben ein Übermaß an Zucker intus. Und sie erleben gerade die Scheidung ihrer Eltern mit. Eine echt tödliche Kombination, das kann ich dir sagen.« Ich habe bereits mehrmals versucht, Mme Sanxay auf ihrem Handy zu erreichen. Jedes Mal, wenn ich ihre Stimme auf der Mailbox höre, erfüllt mich eine ungute Vorahnung. Wo kann sie nur stecken? Als Zack schließlich angerufen hat, war ich so scharf darauf, endlich erlöst zu werden, dass ich gleich beim ersten Klingeln rangegangen bin.
Zack kann mir zwar nicht helfen, die Mutter dieser Kinder zu finden, aber daheim in diesem gottverlassenen Kaff im Süden der USA, wo er herkommt, hat er ein paar kleinere flennende Geschwister. Ich habe an jede Tür gehämmert, bis ich diese Dreizehnjährige
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