Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
also bereits sehr früh als meßbare Eigenschaften, mit denen verschiedene Stoffe verglichen werden können.
Ob es einen Urstoff oder ein Urprinzip für alle stofflichen Erscheinungen gibt, diese Grundfrage stellten sich erstmals die vorsokratischen Naturphilosophen. Jedenfalls erklärte Thaies von Milet (625–545 v. Chr.) den Ursprung des Lebens aus dem Wasser bzw. Feuchten. Verwiesen wird dazu auf die Beobachtung, daß die Nahrung und die Samen aller Lebewesen feucht und der natürliche Untergrund für die feuchten Dinge das Wasser sei. Gegensatzpaare von Stoffeigenschaften wie etwa Trockenes und Feuchtes, Warmes und Kaltes sind zentral für die vorsokratische Naturphilosophie. Von diesen bestimmbaren Stoffeigenschaften unterscheidet Anaximander (610–545 v. Chr.) den Bereich des Unbestimmten und Markierungslosen (ápeiron). In aristotelischer Tradition wird daraus ein unbestimmter Urstoff, aus dem alle Stoffeigenschaften entstanden sind. Anaximenes (gest. 525 v. Chr.), der dritte miletische Naturphilosoph, erklärt die Vielfalt der Stoffe durch Verdichtung und Verdünnung der Luft (aêr) als gemeinsamen Urstoff. {1}
Heraklit von Ephesus (ca. 500 v. Chr.) führt aus, wie sich alle Zustände der Materie als unterschiedliche Formen des Urstoffes ,Feuer‘ verstehen lassen. {2} Heraklits Ausführungen über den Urzustand des Feuers erinnern den modernen Leser an das, was wir heute Energie nennen. Die Energie ist tatsächlich der Stoff, aus dem alle Elementarteilchen, alle Atome und daher überhaupt alle Dinge gemacht sind, und gleichzeitig ist die Energie auch das Bewegte. Bemerkenswert ist die Heraklitsche Annahme, daß gegensätzliche Zustände und Veränderungen der Stoffe durch ein verborgenes Weltgesetz (logos) der Harmonie in Einheit gehalten werden. Die Harmonie der Natur drückt sich nach Pythagoras in der Einheit von arithmetischen, geometrischen, astronomischen und musikalischen Proportionen aus. Die Pythagoreer formulieren die für die neuzeitliche Naturwissenschaft folgenschwere Auffassung, daß alle Veränderungen der materiellen Welt auf unveränderlichen Zahlengesetzen beruhen.
Parmenides von Elea (ca. 500 v. Chr.) kritisiert die Vorstellung ständiger Veränderung als bloße Sinnestäuschung. Tatsächlich gibt es nur Seiendes, das von Nicht-Seiendem streng zu unterscheiden sei. Ohne Veränderung und Bewegung ist das Seiende überall gleich beschaffen. Parmenides gelangt so zum Bild einer Welt, die wie eine feste, endliche, einheitliche Kugel ohne Zeit, ohne Bewegung und Wechsel ist. Die vorsokratische Naturphilosophie scheint alle denkmöglichen Modelle der Materie ausloten zu wollen. Nachdem Wasser, Luft und Feuer als Urelemente benannt worden waren, lag es nahe, sie insgesamt als Rohmaterialien der Welt aufzufassen. Das war der Ansatz des Empedokles (492–430 v. Chr.), der den Elementen Feuer, Wasser, Luft noch die Erde als viertes Element hinzufügte.
Wie Empedokles entwickelt Anaxagoras (499–428 v. Chr.) eine Mischungstheorie der Materie. Jedoch werden die vier Elemente des Empedokles durch eine unbegrenzte Zahl von Stoffen ersetzt, die sich aus Keimteilchen bzw. gleichteiligen Stoffteilchen zusammensetzen. Sie sind ihrer Anzahl und Kleinheit nach unbegrenzt, d.h. Materie wird als unbegrenzt teilbar angenommen. Von großer Folgewirkung bis zur Neuzeit wird die physikalische Erklärung des Anaxagoras für die Himmelserscheinungen sein. So geht er in seiner Kosmogonie vom singulären Anfangszustand einer homogenen Materiemischung aus. Durch eine immaterielle Urkraft, die er ,Geist' (noüs) nennt, wird diese Mischung in eine Wirbelbewegung gesetzt, die eine Trennung der verschiedenen Dinge je nach ihrer Geschwindigkeit verursacht. Die Erde klumpt in der Mitte des Wirbels zusammen, während schwerere Steinstücke nach außen geschleudert werden und die Sterne bilden. Ihr Licht wird durch das Glühen ihrer Massen erklärt, das auf die schnelle Geschwindigkeit zurückgeführt wird. Die kosmische Wirbeltheorie des Anaxagoras, seine Erklärung himmlischer Erscheinungen durch materielle Prozesse, so modern dieser Ansatz uns heute vorkommt, war damals eine ungeheure Provokation, da doch der Himmel als Sitz der Götter und ewigen Mächte galt.
2. Demokrits Atome und die aristotelische Naturphilosophie
Demokrits Atomtheorie hat die Materievorstellungen der neuzeitlichen Physik und Chemie grundlegend beeinflußt. {3} Seine Atome unterscheiden sich durch ihre Form, Lage und durch die
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