Beifang
versuchte ein Lächeln.
»Natürlich müssen Sie Kette und Ring gut verstecken«, fuhr sie
fort, »vor allem den Ring. Oder nein: Sie verstecken ihn gar nicht besonders, und wenn jemand danach fragt, sagen Sie... einen Augenblick! Haben Sie einen Großvater oder Urgroßvater gehabt, der Landwirt war? Entschuldigen Sie, wenn ich so frage...«
»Nichts zu entschuldigen«, meinte Marianne, »mein Großvater mütterlicherseits war Bauer, ich hab ihn sehr gemocht. Aber was hat das...?«
»Er lebt nicht mehr?«
»Nein«, sagte Marianne. »Er ist schon zehn Jahre tot.«
»Dann sagen Sie...«, fuhr die Frau fort, und ihre Stimme klang plötzlich, als wäre sie ein Schulmädchen, das mit einer Freundin einen Streich ausheckt, »dann sagen Sie einfach, der Ring sei ganz früher einmal von einem Viehhändler als Pfand zurückgelassen worden, und ihr Großvater habe ihn Ihnen vererbt... Da ist keinerlei Gefahr für Sie, überhaupt nicht, und wenn sich die Zeiten geändert haben und der Krieg vorbei ist, schicken Sie den Schmuck nach London, an meine Tochter...« Sie holte einen Zettel und zwei Zehn-Reichsmark-Scheine aus ihrer Tasche. »Hier finden Sie den Namen und die Adresse, sie ist leicht zu merken, den Zettel sollten Sie dann wohl besser vernichten. Und das Geld - bitte nehmen Sie es für das Porto, Sie sollten es ja dann doch als Einschreiben schicken …«
Eine halbe Stunde später war Marianne wieder zu Hause. Otto saß vor dem Volksempfänger, Marianne ging in die Küche und verstaute die Kette samt dem Ring und die zwanzig Reichsmark dazu in der Dose mit den unbenutzten Gardinenringen. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie den Zettel mit der Adresse dieser Alexandra Kahn in South Kensington in eines der Bücher legen sollte, die Otto mit Sicherheit niemals aufschlagen würde. Aber was heißt das schon: mit Sicherheit nicht? Im Wohnzimmer wurde das Radio lauter gestellt, eine Sondermeldung kam, südlich von Kursk hatten deutsche Kampftruppen die russischen Linien durchbrochen und stießen auf Woronesch vor, in einer plötzlichen Anwandlung zerriss Marianne den Zettel und zündete die Papierfetzen in der Spüle an, immer nach nebenan horchend. Aber der Sprecher im Radio sagte, auch Sewastopol stehe vor dem Fall, und so würde
Otto vor dem Radio sitzen bleiben und nicht in die Küche kommen und nicht fragen: Was verbrennst du da? Und er kam auch nicht, sondern wartete auf weitere Meldungen, und Marianne spülte die Asche in den Abfluss und wusch sich die Hände und warf, als sie sie abtrocknete, einen Blick auf den Abreißkalender neben der Küchenuhr. Es war Montag, der 28. Juni 1942.
Mittwoch, 13. Februar 2008
Gewiss habe ich Fragen«, sagte Rechtsanwalt Eisholm, erhob sich langsam und löste dabei aus dem Aktenordner, der aufgeschlagen vor ihm lag, eine Klarsichthülle. Er blickte auf, hinüber zu dem Mann auf dem Zeugenstuhl, und über ihn hinweg zu den Zuhörern in den ansteigenden Bankreihen, die Kopf an Kopf im trüben Lampenlicht des späten Winternachmittags ausharrten. »Aber gewiss doch!«
Er trat zu dem erhöhten, mit einer Blende versehenen Tisch, hinter dem die drei Berufsrichter und die beiden Geschworenen saßen, und zeigte eher beiläufig, wie einen längst bekannten Gegenstand, die Fotografie vor, die in die Hülle eingelegt war. Es war ein Schnappschuss und zeigte eine junge Frau, die einen Blick in den Spiegel ihrer Puderdose warf. Sie hatte auffällig kurzes blondes Haar und trug ein schwarzes, tief ausgeschnittenes Kleid, dazu um den Hals eine Goldkette mit einem Ring als Anhänger. Offenbar war die Aufnahme in der Pause einer Tanzveranstaltung entstanden, und die junge Frau schien nicht bemerkt zu haben, dass sie fotografiert wurde.
Der Vorsitzende Richter nickte, Eisholm ging weiter zum Tisch links der Richterbank. Aber weder Staatsanwalt Desarts noch Kugelmann, der Anwalt des Nebenklägers, ließen einen Einwand erkennen. Schließlich wandte sich Eisholm dem Zeugen zu.
»Diese Fotografie hier, die den Akten beigefügt ist - Herr Zeuge, können Sie uns sagen, wen diese Aufnahme zeigt?«
Markus Kuttler, Kriminalkommissar im Dezernat I der Ulmer Polizeidirektion, stand auf, warf erst einen Blick auf Eisholm und dann auf die Fotografie, die dieser ihm hinhielt. Der Strafverteidiger hatte seinen mächtigen grauen Lockenkopf mit der
Vogelnase und den hellen Augen schräg gelegt, als sei er Gott weiß welchem Engerling auf der Spur.
»Das ist eine Aufnahme von Fiona Morny.«
»Von der
Weitere Kostenlose Bücher