Bel Ami (German Edition)
dorthin führen?«
Er zauderte, denn er fürchtete, Rahel zu treffen. Dann aber dachte er: »Ach was, ich bin doch schließlich nicht verheiratet. Wenn sie mich sieht, wird sie die Situation begreifen und mich nicht anreden. Außerdem werden wir eine Loge nehmen.«
Entscheidend aber war der zweite Grund: Es paßte ihm nämlich sehr gut, daß er bei dieser Gelegenheit Madame de Marelle eine Theaterloge anbieten konnte, ohne was dafür zu bezahlen. Es war dies eine Art Gegenleistung. Er ließ Clotilde zunächst im Wagen, um die Eintrittskarten zu besorgen; sie sollte nicht sehen, daß er sie gratis bekam. Dann gingen sie hinein und die Kontrolleure begrüßten sie höflich.
Eine dichte Menschenmenge füllte die Wandelgänge. Nur mit großer Mühe konnten sie sich den Weg durch den Schwärm von Männern und Kokotten bahnen. Endlich erreichten sie ihre Loge und nahmen Platz, eingeschlossen zwischen den unbeweglich sitzenden Zuschauern des Parterre und der wogenden Menge des Wandelganges.
Aber Madame de Marelle sah gar nicht auf die Bühne; sie beobachtete lediglich die Dirnen, die hinter ihrem Rücken auf und ab gingen. Fortwährend drehte sie sich nach ihnen herum, ja, sie hatte Lust, sie anzurühren, ihren Körper, ihr Gesicht, ihre Haare zu betasten, um sich zu überzeugen, woraus diese Wesen eigentlich gemacht sind. Plötzlich sagte sie:
»Eine dicke Brünette guckt uns immerfort an. Eben glaubte ich schon, sie wollte uns anreden. Ist sie dir nicht auch aufgefallen?«
Er antwortete : »Nein, du mußt dich irren.«
Trotzdem hatte er sie längst erkannt. Es war Rahel, die mit zornigen Blicken und wütenden Worten auf den Lippen um sie herumschweifte.
Duroy war kurz zuvor in der Menge ganz dicht an ihr vorbeigegangen und sie hatte ihm ganz leise »Guten Abend« zugeflüstert, mit einem Blick, der deutlich sagte: »Aha, ich verstehe.« Doch er hatte auf diese Freundlichkeit nicht geantwortet, aus Furcht, von seiner Geliebten gesehen zu werden, und war kalt und hochmütig vorübergegangen. Das Mädchen, das von einer unbewußten Eifersucht gequält wurde, kehrte um, drückte sich mehrmals an ihm vorüber und sagte etwas lauter:
»Guten Abend, Georges.«
Auch diesmal hatte er nicht geantwortet. Aber da sie sich in den Kopf gesetzt hatte, erkannt und gegrüßt zu werden, so kehrte sie immer wieder zur Loge zurück und wartete auf einen günstigen Augenblick. Sobald sie sah, daß Madame de Marelle zu ihr hinüberblickte, tippte sie Duroy auf die Schulter und sagte:
»Guten Abend, wie geht es dir?«
Duroy reagierte nicht.
Sie fuhr fort: »Nun, bist du seit Donnerstag taub geworden?«
Er antwortete immer noch nicht und setzte eine verächtliche Miene auf; er wollte sich mit diesem Frauenzimmer nicht bloßstellen, auch nicht durch ein Wort.
Laut und wütend begann sie zu lachen:
»Du bist also stumm! Madame hat dir wohl die Zunge abgebissen!«
Er machte eine wütende Gebärde und rief mit entrüsteter Stimme:
»Wie können Sie sich unterstehen, mich hier zu belästigen? Scheren Sie sich fort oder ich lasse Sie festnehmen!«
Nun legte sie aber los, ihre Augen sprühten Zorn, ihre Brust hob sich stürmisch; sie schrie:
»Ha! So steht die Sache, du frecher Lümmel. Wenn man mit einer Frau schläft, dann grüßt man sie wenigstens. Das ist kein Grund, wenn du mit einer anderen zusammen bist, daß du mich nicht kennen willst. Nur einen Wink brauchtest du mir zu geben, und ich hätte dich in Ruhe gelassen. Du wolltest den großen Herrn spielen! Na, warte mal! Ich werde dir helfen! Nicht nur, daß du mich nicht grüßen wolltest, sondern ...«
Sie hätte noch lange weitergeschrien, doch Madame de Marelle riß die Logentür auf und stürzte mitten durch die Menge wie toll dem Ausgange zu.
Duroy eilte ihr nach und bemühte sich, sie einzuholen.
Darauf brüllte Rahel, als sie die beiden fliehen sah, triumphierend: »Haltet sie! Haltet sie fest! Sie hat mir den Liebsten gestohlen.«
Gelächter erscholl im Publikum. Zwei Herren packten die Flüchtige zum Spaß an den Schultern und wollten sie küssen und zurückführen. Doch Duroy holte sie ein, stieß die beiden Männer heftig zurück und zog sie auf die Straße.
Sie stürzte in eine leere Droschke, die gerade vor dem Theater stand. Er sprang ihr nach, und als der Kutscher fragte: »Wohin, Bürger?« rief er: »Wohin Sie wollen !« Der Wagen setzte sich langsam in. Bewegung und rumpelte auf dem Pflaster. Clotilde bekam einen Nervenanfall, sie verbarg ihr Gesicht
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