Bel Ami (German Edition)
bereit, alles zu gestehen, nur um einen Bruch zu vermeiden. Mit verzweifelter Stimme erklärte er: »Der Grund ist ... ich besitze keinen einzigen Sou.«
Sie blieb plötzlich stehen und sah ihm fest in die Augen, als wollte sie die Wahrheit herauslesen: »Du sagtest?«
Er war bis in die Haarwurzeln rot geworden.
»Ich sage, ich habe keinen Sou. Verstehst du mich? Keine zwanzig Sous, keine zehn, nicht einmal soviel, um für dich im Café einen Likör zu bezahlen. Du zwingst mich zu diesem beschämenden Geständnis. Ich konnte doch nicht mit dir ausgehen, und wenn unsere Getränke vor uns ständen, dir einfach erklären: ich könne sie nicht bezahlen.«
Sie sah ihm immer noch ins Gesicht:
»Also wirklich ... das ist alles wahr?«
Im Nu drehte er alle seine Taschen um, Hosentaschen, Rock- und Westentasche und rief: »Nun ... bist du jetzt zufrieden?«
Plötzlich öffnete sie leidenschaftlich ihre beiden Arme, sprang ihm um den Hals und stammelte:
»Oh, du mein armer Liebling... armer Liebling. Wenn ich das nur gewußt hätte! Aber wie ist denn das gekommen?«
Sie zog ihn zum Sofa und setzte sich auf seine Knie; sie legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn immerfort; sie küßte ihn auf seinen Schnurrbart, auf seinen Mund, auf seine Augen, und zwang ihn, zu erzählen, wie er in die üble Lage geraten war. Er erfand eine rührende Geschichte. Er habe seinem Vater, der in Not geraten war, helfen müssen, und nicht nur alle seine Ersparnisse hingegeben, sondern auch drückende Schulden auf sich geladen.
»Ich werde mindestens sechs Monate hungern müssen,« fügte er hinzu, »denn alle meine Hilfsquellen sind erschöpft. Es hilft eben nichts; es gibt halt schwere Stunden im Leben. Im übrigen lohnt es sich nicht, sich wegen lumpigen Geldes Sorgen zu machen.«
Sie flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich will dir welches leihen, willst du?«
Er antwortete würdevoll:
»Das ist sehr lieb von dir, mein Herz, aber ich bitte dich, sprechen wir nicht mehr davon, das verletzt mich.«
Sie schwieg, dann drückte sie ihn fest an sich und flüsterte:
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich dich liebe!«
So einen zarten und liebevollen Abend hatten sie noch nie verbracht.
Als sie fortgehen wollte, sagte sie lächelnd:
»Wenn man in deiner Lage ist, muß es ganz hübsch sein, plötzlich in der Tasche ein Geldstück zu finden, das ins Futter gerutscht ist.«
Er erwiderte mit Überzeugung: »Ach ja, das wäre sehr angenehm.«
Sie wollte zu Fuß nach Hause gehen unter dem Vorwand, der Mondschein wäre so herrlich und sie begeisterte sich bei diesem Anblick.
Es war eine kalte, schöne Winternacht. Menschen und Pferde schritten rasch und munter in der hellen, frostigen Luft. Die Hacken schallten auf den Bürgersteigen.
Beim Abschied fragte sie ihn:
»Sehen wir uns übermorgen wieder?«
»Gewiß.«
»Um dieselbe Zeit?«
»Gut, um dieselbe Zeit.«
»Auf Wiedersehen, mein Liebling.«
Und sie küßten sich zärtlich.
Er kehrte eiligst nach Hause und zerbrach sich unterwegs den Kopf, was er nun beginnen sollte, um sich aus der Klemme zu ziehen. Doch als er seine Zimmertür öffnete und in seiner Westentasche nach einem Streichholz suchte, fühlte er zu seinem Staunen darin ein Goldstück. Er zündete das Licht an und besah sich näher die Münze. Es war ein Zwanzigfrancsstück. Zuerst dachte er, er sei verrückt geworden. Er drehte es hin und her und überlegte, durch welches Wunder dieses Geld in seine Tasche gelangt war. Es konnte doch nicht vom Himmel herabgefallen sein!
Plötzlich fiel es ihm ein und eine heftige Entrüstung ergriff ihn. Seine Geliebte hatte ja in der Tat von Geld gesprochen, das ins Futter gerutscht sei und das man in Stunden der Not wiederfände. Von ihr also stammte das Almosen. Welche Schande!
»Na, übermorgen soll sie sehen!« schwor er sich. »Sie wird eine hübsche Viertelstunde erleben.«
Er legte sich zu Bett, das Herz voll Scham und Zorn.
Er wachte spät auf. Er hatte Hunger und versuchte, noch einmal einzuschlafen, um erst gegen zwei Uhr aufzustehen. Dann sagte er sich: »Damit komme ich nicht weiter, ich muß doch schließlich sehen, wie ich Geld kriege.« Dann ging er aus, in der Hoffnung-, daß auf der Straße ihm irgendein guter Einfalt kommen würde.
Es kam aber keiner. Doch jedesmal, wenn er an einem Restaurant vorbei mußte, überfiel ihn ein solcher Hunger, daß ihm der Speichel im Munde zusammenlief. Als ihm mittags immer noch nichts eingefallen war, entschloß er sich
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