Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max
malen, was er will“, sagte Malte, der für einen Moment nach Worten gesucht hatte, „ich seh das nicht so eng. Entscheidend scheint mir vielmehr zu sein, dass er was verkauft. Dass was nachgefragt wird! Das unterscheidet dann die guten Bilder von den schlechten - auch wenn dir das vielleicht zu oberflächlich ist.“
Max legte den Kopf auf die Seite. „Das ist Unsinn, Malte, das glaubst du selber nicht. Van Gogh hat kein Bild verkauft, soweit ich weiß, aber seine Sachen sind große Kunst, oder? Der Erfolg zu Lebzeiten, innerhalb der ersten zweihundert Jahre, wie willst du das begrenzen? Nein!“, seine Stimme wurde lauter und Till kam es so vor, als würde sie ein bisschen schwanken, „derjenige, der was Neues ausprobiert, malt gute Bilder. So ist es doch!“
„Ach ja“, diesmal kam Maltes Antwort wie aus der Pistole geschossen, „dann nehme ich eben den Kühlschrank hier, den noch niemand zur Skulptur erklärt hat, sag, dass er - als Skulptur - mein Werk ist … “
„Nur ist DAS leider nichts Neues“, fuhr Max überraschend heftig dazwischen, „die Ready Mades von Duchamps - das weißt du doch selbst - gab‘s schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts.“
„Dann sag ich halt: Mein Traum von letzter Nacht“, hielt Malte dagegen, „der war zwar nur subjektiv, aber in gewisser Weise hat er doch existiert - dann erklär‘ ich eben diesen Traum zum Kunstwerk, das hat noch keiner gemacht, oder?“
Max sah ihn an.
„Okay, du hast recht, das ist Unsinn“, befand Malte selbst, „ich will nur sagen: In meiner Definition kann jeder selber entscheiden, was er für Kunst hält, du aber scheinst ein objektives Kriterium zu suchen … “
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde Max seine Bierflasche in die Spüle schleudern, doch dann zeigte sich, dass die angedeutete Bewegung nur ein Scherz war. „Es geht mir doch nicht darum, zu definieren, wie wir das Wort ‚Kunst‘ verwenden sollten“, rief er, „es geht mir darum, was als nächstes zu tun ist , kapierst du das denn nicht?!“
Till kniff die Augen zusammen. Max hatte offensichtlich schon einiges getrunken, er war gut drauf, aber es konnte auch kippen.
„In eurem verfickten fiktiven Universum, zum Beispiel!“, schrie Max Malte an. „Welche Entscheidungen, welche gestalterischen Entscheidungen meine ich, triffst du dort als nächstes - “
„Das ist doch keine Kunst“, hielt Malte dagegen.
„Sondern was? Propaganda? Eine Geldmaschine? Was? “
„Das weißt du doch: Das Projekt erfüllt einen ganz bestimmten Zweck.“
„Und welchen?“
„Es soll den Leuten die Augen öffnen.“
„Dass sie sich nur einbilden, frei zu sein!“
„Ganz genau!“
„Siehst du denn nicht, was du für ein Esel bist!“ Jetzt war Max‘ Ironie wie fortgewischt, er schien regelrecht in den Gedanken gefangen zu sein, die er vermitteln wollte: „Du willst den Leuten die Augen dafür öffnen, dass sie sich täuschen, du willst also tatsächlich nichts anderes als einer Wahrheit ans Licht verhelfen. Genau das, was du vorhin abgestritten hast.“
„Ich … ich“, Malte versuchte, sich zu sammeln.
Aber Max ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Jawohl, abgestritten. Du hast gesagt, entscheidend für ein Bild ist, dass es sich verkauft. ICH sage, entscheidend für ein Bild ist, dass es wahr ist und neu , also dass es ein Bild ist, das stimmt und das es so vorher noch nie gegeben hat! Alles andere ist scheißegal!“ Und damit trat er ganz dicht an Malte heran und seine Stimme wurde scharf wie eine Klinge. „Was ihr bei Felix aber macht - “
„Das sind doch keine Bilder … “
„Ach nein? Ich denke, welche Form die Geschichten am Ende dann annehmen, ist noch nicht endgültig entschieden! Vielleicht wird es ein Fotoroman oder so etwas?!“
„Ja, sicher … “, schon wieder war Malte in der Defensive.
„Eben! Egal, wie es am Ende aussieht: Was ihr bei Felix macht, ist genau das Gegenteil von wahr. Ihr versucht nicht, den Leuten die Augen zu öffnen - ihr versucht, ihnen den Kopf zu verdrehen! Ihr baut eine Maschine, um ihre Gedanken zu verschrauben! Ist es nicht so?“
Inzwischen war die Küche voller Gäste, die durch das Geschrei angelockt worden waren. Max hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen und starrte Malte an. Auch wenn sich Till zu keinem Lakai von Felix machen wollte, hatte er doch das Gefühl, seinem Freund ein wenig zur Seite stehen zu müssen, bevor er vollkommen die Kontrolle über sich verlor.
„Hej hej hej“,
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