Berliner Aufklaerung - Roman
philosophischen Überzeugungen und Privatleben für unumgänglich halten?«
Etwas irritiert rückte Maier-Abendroth die Lesebrille auf seiner Nase zurecht und räusperte sich. »Ja, ganz gewiß denke ich, daß ein Denker mit seinem Leben für das einstehen muß, was er denkt. Andernfalls könnte und dürfte er es gar nicht denken.«
Anja fixierte Maier-Abendroth über ihre schmale, schwarze Kastenbrille hinweg. »Wie erklären Sie sich dann die Vorwürfe, daß Sie trotz Ihrer theoretischen Verurteilung von Homosexualität im praktischen Leben homosexuelle Neigungen ausagieren?«
Maier-Abendroth stellte die Kaffeetasse ab, aus der er gerade einen Schluck hatte trinken wollen. »Aber liebe Frau Sommer, was sind denn das für absurde Anschuldigungen. Ich soll homosexuelle Neigungen ausagieren? Da kann ich ja nur lachen.« Zur Unterstützung seines letzten Satzes lehnte sich Maier-Abendroth zurück und setzte ein hohl dröhnendes Lachen auf.
»Vielleicht erscheinen Ihnen die Anschuldigungen weniger absurd, wenn Sie sich daran erinnern, daß Ihr guter Freund Rudolf Schreiner eine stadtbekannte Schwuchtel war und Sie des öfteren mit ihm zusammen gesehen wurden.«
Maier-Abendroths Lachen riß ab, seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. »Aber das sind ja völlig aberwitzige Geschichten, die Sie hier verbreiten. Ich wußte nicht, daß die Wochenpost solche Revolverblatt-Methoden anwendet. Schalten Sie sofort Ihr Aufnahmegerät aus, unter diesen Bedingungen bin ich nicht bereit, das Interview fortzusetzen.«
Anja stand auf, während das Diktiergerät auf dem Tisch weiterlief. »Herr Maier-Abendroth, es geht hier nicht um Revolverblatt-Methoden, sondern um Mord. Sie haben Rudolf Schreiner ermordet, nachdem dieser Ihnen androhte, Sie mit Ihren schwulen Neigungen zu erpressen.«
Maier-Abendroth erhob sich ebenfalls und stützte beide Arme unheilverheißend auf den Tisch. Er zischte mehr als er sprach. »Sie verlassen augenblicklich mein Haus. Suchen Sie sich für Ihren billigen Sensationsjournalismus ein anderes Opfer.«
»Dann haben Sie Rebecca Lux denunziert, um den anschließenden Mord an ihr wie Selbstmord aussehen zu lassen. Sie war Ihnen doch schon lange ein Dorn im
Auge. Immerhin waren Sie intelligent genug zu erkennen, daß Sie selbst im Vergleich zu ihr nur armselige Trivialitäten – «
»Raus!« Maier-Abendroth hatte inzwischen einen hochroten Kopf. Er zitterte am ganzen Körper. »Raus! Oder ich hole die Polizei! Ich werde Sie anzeigen!«
Anja stützte den rechten Arm in die Hüfte. »Sie gestatten, daß ich lache. Wie wollen Sie denn ohne Telefon die Bullen alarmieren. Im übrigen wäre ich an Ihrer Stelle nicht so scharf auf Polizei. Die sehen Sie noch früher, als Ihnen lieb sein kann.«
Maier-Abendroth löste sich langsam aus seiner Position. Bevor er auf Anja losgehen konnte, hatte sie ihn bereits am Pullover gepackt und zog ihn ganz nah zu sich heran. »Du miese kleine Ratte, du aufgeblasener Ersatz-Sokrates, was du mit Schreiner angestellt hast, ist mir ja scheißegal, aber für Rebecca zahlst du mir — und für meine Kaution.«
Aufgrund der Faust unter seiner Kinnlade entwich Maier-Abendroth als Antwort lediglich ein heiseres Fauchen. Anja stieß ihn ein Stück von sich weg, um besser zum Schlag an die Halsschlagader ausholen zu können. Maier-Abendroth taumelte rückwärts und krachte an den Kohlenherd, wo er leise röchelnd zusammensank. Offensichtlich hatte er sich bei dem Schlag auf die Lippe gebissen, denn ein kleiner Blutfaden rann seitlich von seinem Kinn hinab. Die Lesebrille lag einige Meter weiter auf dem Boden. Er keuchte, als er mühsam den Mund zum Sprechen öffnete. »Sie sind ja wahnsinnig. Wollen Sie mich umbringen?«
»Keineswegs. Ich brauche Sie noch für meine Kaution. « Anja zog Maier-Abendroth am Pullover wieder empor. »So, hübsch stehengeblieben. Ich finde, für einen
Mann zeigen Sie reichlich wenig Haltung.« Diesmal plazierte Anja ihre rechte Faust kurz unter seiner Kinnlade. Maier-Abendroth stürzte rückwärts über den Küchentisch. Aus den Winkeln angstvoll geweiteter Augen verfolgte er, wie Anja langsam näherkam. »Hilfe ! Hilfe!«
Es antwortete nur das Plätschern des Flusses.
»Was soll das? Was wollen Sie? Haben Sie doch Mitleid! «
»Unerfüllte Frauen kennen kein Mitleid — das wissen Sie doch selbst –, und im Augenblick fühle ich mich sehr unerfüllt. Wollen Sie mir nicht vielleicht doch etwas zu Schreiner und Rebecca Lux erzählen?« Anja
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