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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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riß sich von dem Anblick der verschlossenen Holztür los. »Entschuldigen Sie, ich war gerade etwas abwesend.«
    »Ich fragte, ob Sie mit Ihrem Artikel bereits begonnen haben.«

    Anja hoffte, daß der Kaffee einigermaßen genießbar sein würde, denn trotz der zwölf Stunden Tiefschlaf in der Vornacht fühlte sie sich jetzt ein wenig schläfrig. »Ja, doch, das Portrait steht in den wesentlichen Zügen. Ich habe diesbezüglich noch einige Fragen an Sie, aber ich denke, wir sollten mit dem Interview beginnen — wenn es Ihnen recht ist.«
    »Selbstverständlich, ich richte mich da ganz nach Ihren Vorstellungen.« Maier-Abendroth holte die Kaffeekanne vom Herd und stellte sie auf einen gußeisernen Untersetzer. Er blickte Anja an. »Wie ist es Ihnen am liebsten? Soll ich mich gegenüber setzen oder neben Sie?« Während der letzten Sätze machte er einige Schritte auf Anja zu.
    » Gegenüber.«
    Maier-Abendroth blieb mit einem kurzen Hüsteln stehen. »Ja sicher.«
    Er postierte einen Holzschemel an der gewünschten Seite des Küchentisches, und Anja holte das Diktiergerät zusammen mit dem vorbereiteten Fragezettel aus ihrer Tasche.
    »Darf ich Ihnen vorher noch einen Kaffee anbieten? Er ist nach dem jahrhundertealten Rezept dieser Gegend mit Zichorie zubereitet.«
    Anja haßte Muckefuck, aber angesichts ihrer ungelegenen Müdigkeit blieb ihr keine andere Wahl. »Ja bitte, sehr gern.« Sie wartete, bis Maier-Abendroth eingeschenkt und sich auf seinen Schemel gesetzt hatte, dann stellte sie das Diktiergerät an.
    »Herr Maier-Abendroth, worin sehen Sie die Aufgabe von Philosophie heute?«
    »Nun, zunächst einmal ist an Ihrer Frage zu betonen, daß sich Philosophie immer vom Heute her bestimmt.
Wir müssen heute anders philosophieren, als wir es noch vor zwanzig Jahren konnten. Die Aufgaben von Philosophie haben sich vor allem seit dem Fall der Mauer radikal geändert. In der erstarrenden alten Bundesrepublik war die Philosophie kurz davor, sich endgültig von gesellschaftlichen Realitäten abzuschotten und sich in den sprichwörtlichen akademischen Elfenbeinturm zurückzuziehen. Durch den politischen Umbruch und die gesellschaftlichen Umwälzungen hat die Philosophie die Chance erhalten, wieder ins Leben zu treten — nur muß sie diese glückliche Chance auch zu nutzen wissen. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Auffassung von Philosophie etabliert, die Philosophie auf ein rein formales Unternehmen beschränken will. Was hilft es aber, wenn die Philosophen den Menschen sagen, sie sollen ein gutes oder gerechtes Leben führen, wenn sie ihnen dann nicht sagen können, was das Gute und Gerechte ist? Die Philosophie ist in dieser Angst vor Inhalten blutleer und realitätsfern geworden. Wir brauchen neuen philosophischen Mut zu klaren Antworten.«
    Während der Ausführungen Maier-Abendroths hatte Anja einige Male vorsichtig an ihrer Tasse genippt, den Versuch, dieses Zeug zu trinken, aber schnell wieder aufgegeben. »Heißt das, daß Sie die Philosophie wieder stärker in die Politik einbinden wollen?«
    Maier-Abendroth nahm einen kräftigen Schluck Zichorienkaffee. »Der Gedanke einer Verschränkung von Philosophie und Politik ist ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Sie jedoch auf Platon anspielen und seine Vorstellungen vom Staat der Weisen, so halte ich dies für einen Schritt zuviel. Philosophen sollten von sich aus auf die Agora, an eine
größere Öffentlichkeit treten wollen und keine Angst haben, sich dabei ihre akademischen Hände schmutzig zu machen. Ich halte es auch durchaus für denkbar, daß Philosophen in größerem Maße in politische Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen werden, nur — ich betone es noch einmal — bevor die Politik die Philosophie aufnehmen kann, muß sich die Philosophie ändern. «
    »Welchen Stellenwert hat die Philosophie in Ihrem Leben, Herr Maier-Abendroth?«
    »Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Leben ist eine sehr wichtige Frage. Philosophie ist keine Wissenschaft wie andere, bei denen man tagsüber im Hörsaal oder Labor steht und abends vergessen kann, was man tagsüber getan hat. Philosophie ist eine Lebensform, ja beinahe möchte ich sagen: eine Passion. Sie begleitet einen unablässig.« Maier-Abendroth strich sich eine Strähne zurück, die bei seinen letzten Sätzen ins Gesicht gefallen war.
    Anja rückte ihre Kaffeetasse ein Stück weiter von sich weg. »Daraus darf ich doch sicher schließen, daß Sie eine Harmonie von

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