Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Vorschriften. Und überhaupt – ich bleibe viel lieber hier.“ Sie zog ihn an sich und in eine Ecke. Amethyst und Opal tauchten ihren Nacken in Licht, ihre Hände wanderten, sie küßten sich.
Soldat stand langsam auf und ließ sie ungestört allein. Die Sonne kletterte dem Morgen entgegen, während er weiterging, und das Panorama von Neu Piräus waberte vor Hitze. Sein Blick glitt zu dem vierzigstöckigen Skelett der Universalbank, die sich im Bau befand, dann zu den Warenhäusern, den Docks, zu seiner verschwindenden uralten Unterstadt. Er konnte über das Kreischen der Möwen hinweg das hungrige Heulen schwerer Maschinen hören, die im Magen einer im Umbruch befindlichen Welt rumorten. Zu triumphieren über Tod und Zufall, und auch über dich, o Zeit.
„Aber ich ertrage das nicht.“ Seine Hand klammerte sich um Holz. „Ich stand sechsundneunzig Jahre auf dem Regal und ertrug es.“ Die Seevögel verspotteten ihn gehässig … Nun, nun, schrien sie in das graugrüne Zwielicht … Der Wind strich wie kalte Finger der Trauer in die Öffnungen seines Hemdes. Ich war sechsundneunzig Jahre tot, bis sie kam.
Er hatte vier Stunden lang am Geländer die Schiffe in der Bucht betrachtet, und während dieser Zeit war ein weiteres Schiff wie eine Träne der Sonne gelandet. Nun, da der Tag zu Ende ging, wurden sie alle hell und formten eine Kette auf dem Wasser. Als er sich endlich wieder abwandte und künstliche Sterne auf der Mauer der Nacht betrachtete, war er steif und ungelenk vom langen Stehen.
Immer noch in Gedanken an die Vergangenheit verstrickt, schlurfte er durch die alten Gäßchen, wo die altvertrauten Muster einer neuen Nacht nur vage zu ihm durchdrangen. Seine Augen konnten nichts Vertrautes mehr erblicken. Bis er jene vom Zahn der Zeit angenagte Tür erreichte, die massive Lehmziegelwand unter der Neonschrift. Wie stets in den letzten zweihundert Jahren fand er das Türschloß mit geübtem Griff. D ER Z INNSOLDAT … der eine Ballerina liebte. Seine Faust schlug gegen das Schloß. Nein – diese Bar bleibt heute nacht geschlossen.
Die Tür öffnete sich bei seiner Berührung. Soldat betrat sein stummes Haus. Dann blieb er stehen, lauschte dem hohlen Murmeln der einsamen Nacht und sah sich allein mit dem Rest seines Lebens konfrontiert.
Er schritt im Sternenlicht durch die Räume und berührte dabei nichts, bis er vor der Schlafzimmertür stand. Er öffnete sie, der kalte Griff brannte in seiner Hand. Und dort sah er sie. Sie lag schlafend unter dem Silbertuch der Plejaden. Er schloß die Tür langsam, öffnete sie erneut und schaltete das Licht ein.
Sie richtete sich blinzelnd auf und rieb sich mit den Fäusten die Augen. Ihr Haar fiel äschern und golden bis zur Hüfte herab. Sie trug ein langes, weiches Gewand mit Blumen, das in Blau-, Grün- und Erdtönen gehalten war. „Maris? Ich hab’ dich gar nicht kommen hören. Ich muß eingeschlafen sein.“
Er eilte durch das Zimmer, sank vor dem Bett auf die Knie, liebkoste sie und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Sie sagten, du wärst tot … ich dachte den ganzen Tag …“
„Bin ich auch.“ Ihre Stimme klang matt, ihre Augen waren vor Müdigkeit dunkel umrandet.
„Nein.“
„Doch. In ihren Augen schon. Ich bin keine Raumfahrerin mehr. Das ist so gut wie ‚tot’ zu sein. Man verliert das Leben … Mactav verlor den Verstand. Ich hätte nie gedacht, daß wir den Hafen erreichen würden. Ich wurde bei dem Unfall schwer verletzt.“ Ihre Finger zeichneten Kreise in die Luft, zogen …
„Aber mit dir ist alles in Ordnung.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie hielt ihm die nach oben gekehrten Handflächen hin. Er nahm sie und schob seine Finger zwischen ihre, Fleisch an Fleisch, warm und angenehm. „Das ist Plastik, Maris.“
Er drehte die Hand um und streichelte sie, fuhr den Konturen der langen Finger nach. „Das kann doch nicht sein …“
„Alles gefühllos. Ich spüre dich kaum. Sie sagten mir, ich könnte Hunderte von Jahren alt werden.“ Sie ballte die Hand zur Faust. „Ich bin immer noch eine Frau, aber sie haben mir verboten, jemals wieder ins All zu gehen! Ich kann kein Mannschaftsmitglied mehr sein und auch keine Mactav. Nur Ballast. Und … ich kann nicht einmal behaupten, daß das unfair ist …“ Heiße Tränen brannten auf ihrem Gesicht. „Ich wußte nicht, was ich jetzt tun sollte, ich wußte nicht einmal, ob … ich überhaupt herkommen sollte. Wenn du noch eine Ballerina möchtest, die im Feuer
Weitere Kostenlose Bücher