0196 - Gangsterschlacht in Norfolk Street
Der alte Mann schreckte im Bett hoch und lauschte. Er glaubte etwas gehört zu haben, ein Geräusch, das ihm um diese Zeit ungewohnt schien. Es war nicht das Grölen von Betrunkenen drunten auf der 15. Straße West, nicht das Kreischen wütender Frauenstimmen, das Hupen eins Taxis oder das Rattern eines Omibusses.
Er hatte ein leises Knarren vernommen. Ein Knarren von Dielen, die alterschwach nachgeben, wenn das Gewicht eines Menschen darauf ruht. Es war dunkel im Zimmer. Nur der matte Schein einer Straßenlaterne fiel durch die blinden Scheiben und den dünnen Vorhang.
Amos Carimian war Armenier und von Natur aus misstrauisch. Schon glaubte er sich getäuscht zu haben, als der gleiche Ton, noch deutlicher, an sein Ohr klang. In seinem blau gestreiften Flanellnachthemd glitt er aus dem Bett, fuhr in die ausgetretenen Filzpantoffel und streifte einen Schlafrock über. Dann tastete seine Hand nach dem schweren, alten Coltrevolver, der immer auf dem Nachttisch lag.
Vorsichtig, Schritt für Schritt, durchquerte er das Zimmer, öffnete die Tür und ging, im Dunkeln tastend, die schmale Treppe zum Laden hinunter. Er fluchte leise, als die Stufen knarrten.
Jetzt hörte er nichts mehr. Drunten war es stockfinster. Er drückte die Klinke der Tür zum Laden auf und fühlte, während er mit der Rechten den Colt hielt, mit der Linken nach dem Lichtschalter.
Das war das Letzte, was der Pfandleiher Amos Carimian in seinem Leben tat.
Er fühlte nicht einmal den Schlag, der ihm den Schädel eindrückte, und sackte zusammen wie ein weggeworfenes Bündel Kleider.
Es war drei Uhr dreißig in der Nacht vom Sonntag, den 7. Mai, auf Montag.
***
Um dieselbe Zeit lag ich friedlich träumend in meinem Bett und dachte nicht im Entferntesten daran, wie viel Ärger mir die in diesem Fall völlig unangebrachte Neugier des Mr. Carimian noch bringen sollte.
Den Namen hörte ich zum ersten Male am nächsten Morgen um neun Uhr fünfzehn, als unser Chef, Mr. High, meinen Freund Phil Decker und mich rufen ließ und uns wortlos den Polizeibericht hinschob.
Diesem Bericht der City Police, der von Lieutenant Crosswing, dem Leiter der Mordkommission drei, unterzeichnet war, konnten wir entnehmen, dass die Aufwartefrau, die allmorgendlich um sieben Uhr bei Mr. Carimian eintraf, die Türen verschlossen gefunden hatte.
Da ihr auch auf ihr Klopfen und Klingeln nicht geöffnet wurde, ahnte sie Unheil und wendete sich an den nächsten Cop, den sie erwischen konnte. Dieser war sofort im Bild. Er sah das eingedrückte Fenster und alarmierte kurzerhand die Zentrale. Die Detectives fanden den Armenier mit eingeschlagenem Schädel und einen aufgeschweißten hochmodernen Panzerschrank, der gar nicht zu der sonstigen primitiven Einrichtung passen wollte.
Der Polizei war der Pfandleiher bekannt. Schon wiederholt hatte er im Verdacht der Hehlerei gestanden, es war aber niemals möglich gewesen, ihn zu überführen.
Bei der Durchsuchving des Ladens fand man all die Dinge, die man in solchen Unternehmen zu finden gewohnt ist, getragene Anzüge, Mäntel, Schuhe, Hausrat, Uhren, Ringe und andere Schmuckgegenstände. Jedoch nichts von besonderem Wert. Mit Ausnahme des Panzerschranks hatten die Einbrecher sich um nichts gekümmert.
Man fand auch ein Bankbuch, das ein Guthaben von achthunderttausend Dollar aufwies, eine für dieses Gewerbe geradezu ungeheuerliche Summe. Zuletzt stieß einer der Detectives auf einen Ring, der den Einbrechern beim Einpacken der Beute heruntergefallen sein musste, und dieser Ring war der Anlass dafür, dass man das FBI in Bewegung gesetzt hatte.
Er stammte aus einem Einbruch bei Demone in Detroit, dem bekanntesten und teuersten Juwelier der Stadt. Dieser Einbruch lag bereits drei Monate zurück. Damals waren den Dieben für mehr als eine Million Dollar Schmuck und Steine in die Hände gefallen. Alle Nachforschungen waren erfolglos geblieben, und da nun der Ring, der aus dieser Beute stammte, in einem anderen Staat aufgetaucht war, war das FBI zuständig.
Bevor wir das dicke Aktenstück über den Einbruch in Detroit studierten, fuhren wir nach der 15. Straße West. Diese ist eine der übelsten Wohngegenden New Yorks.
Niedere, altersgraue Häuser mit Kneipen, Kramläden und Bars säumen die schmutzige Straße. Vor den Haus Nummer 186 standen einige Polizeifahrzeuge, umgeben von einem Kreis von Neugierigen, die durch ein paar Cops auf Abstand gehalten wurden. Bezeichnenderweise wurden wir mit Gejohle empfangen.
In dieser Gegend
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