Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
nach Terpentin. Gerüche, die Therese ebenso liebte wie die nach Rumaroma und Mandelöl, wenn das Dienstmädchen Anni Torten buk oder bayerische Creme rührte. Düfte, Lichter, Wärme, und jede Abwesenheit von Mühsal war für Therese selbstverständlich gewesen.
Einer der sichtbaren Garanten für dieses helle, sorglose Leben Thereses war das Kaufhaus der Familie Suttner im Rosental. Früher ein riesiger Bauchladen, hatte Thereses Vater ihn in ein modernes Kaufhaus verwandelt, mit Aufzuganlagen und Registrierkassen. Besonders als Kind war Therese gern mit Anni hingegangen, die dort oft Verwandte aus dem Isarwinkel traf.
Später wurde für Therese Vaters Fabrik interessanter. Die großen Stricksäle, erfüllt vom Rattern der Rundstühle, faszinierten sie. Die Arbeiterinnen und Arbeiter grüßten Therese freundlich, ganze Familien arbeiteten bei den Suttners. In der letzten Zeit jedoch war Therese nicht mehr in die Fabrik gegangen. Sie wollte den Arbeitern und Angestelltenden Konflikt ersparen, als Arier eine Jüdin so ehrerbietig grüßen zu sollen, wie sie es noch vor wenigen Jahren selbstverständlich getan hatten.
Ihre Vergangenheit erschien Therese wie ein heller, warmer Raum, in dem vielfarbiges Licht sich spiegelte. Die Menschen kamen und gingen, schienen leicht und konturenlos wie Bilder französischer Impressionisten. Aber dann, wenn die Erinnerung kraftvoll zurückkehrte und wie mit Messern jede einzelne Figur aus Thereses Bildern herausschnitt, dann war sie in ihren Alpträumen gefangen, angekettet an die dunkle Zeit, in der Therese lernte, daß Glanz zum Makel wird, Glücksmarie zur Pechmarie. Frühere Bewunderer riefen Jude.
Immer seltener ging Therese durch München. Es war ihr, als sei sie der Stadt, in deren glänzende obere Etage sie hineingeboren war, nun ausgeliefert. Dunkle Gestalten, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte, herrschten jetzt über die Straßenschluchten und über die erleuchteten Tempel der Künste und Wissenschaften. Daß München, ja ganz Deutschland, ihr nun feindlich gesinnt schien, ließ Therese kaum noch schlafen. Ständig wachte sie auf, wurde sich nach wenigen Sekunden bewußt, daß ihr Bett nur geliehen war, eine Frage der Zeit. Wie lange würden die Nazis sie noch darin schlafen lassen? Therese lauschte klopfenden Herzens auf jedes Geräusch. Kamen sie wieder? Heute nacht? Oder morgen?
München, das war Heimat gewesen. Die schönsten Straßen, die stattlichsten Häuser waren ihr vertraut. Alle standen sie noch da, aber für Therese waren sie rätselhaft geworden, gefahrvoll, eine einzige große Frage. Warum? Therese sah die weichen Grünflächen im Englischen Garten, die Weite, die jede Vorstellung von Gefangennahme aufzuheben schien. Der Anblick der herrschaftlichen Ludwigstraße ergriff sie schmerzlich. Die früher so beruhigendeBehäbigkeit der Theatinerkirche, die Türme des Liebfrauendoms – alle vertrauten Räume hatten für Therese jetzt etwas Ungewisses, nicht mehr Verläßliches. Es war, als könnten sie jeden Moment einstürzen, um Therese unter sich zu begraben. Dazu war noch Winter. In den schmuddligen Schnee der Straßen fiel feiner Nadelregen. Therese und Sybille gingen, dick in ihre Mäntel vermummt, durch die Kaufingerstraße hinunter ins Tal, wo sie im Sterneckerbräu etwas Heißes trinken wollten. Doch dann sahen sie die Flagge mit dem Hakenkreuz über dem Gasthaus, und Therese erinnerte sich sofort daran, daß dieses alte Münchner Lokal jetzt einer der Treffpunkte der Nazis war. Therese hängte sich fester bei Sybille ein, und sie gingen weiter. Es war später Nachmittag, auffällig viele Menschen hasteten über die Gehsteige, es schien Therese, als seien alle Leute unruhig und beeilten sich, ihre Besorgungen zu machen und heimzukommen. Allein die SS- und SA-Leute schienen guter Laune. In Gruppen marschierten sie über die Straße, machten sich Platz. Die Menschen wichen ihnen ohnehin aus, wo es nur ging. Doch die Uniformierten wollten nicht ausweichen, sie wollten rempeln, Angst machen, Macht spüren. Sie blieben vor Passanten stehen, musterten sie forschend und voller Häme. Wer ruhig weiterging, dem geschah nichts. Wer jedoch Angst zeigte, war verloren. Therese sah, wie ein Trupp SA-Leute einen Mann grob vom Gehsteig stieß. Der Gestoßene fiel hin, rappelte sich beschämt auf, rannte weg unter dem Hohngelächter der Uniformierten. Therese und Sybille waren jetzt auf der Höhe der SA-Leute, die sofort auf die beiden Mädchen aufmerksam wurden.
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