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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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1.
Der goldene Kelch
    Der Kelch erstrahlte wie aus einem inneren Feuer, als der Sonnenstrahl ihn traf.
    Einen Augenblick zuvor hatte er noch im Schatten gelegen, nun glühte er hell wie geschmolzenes Gold. Das Licht rann an seiner geschwungenen Form hinab, der Spur der beiden runden Henkel folgend, und ließ die fein getriebenen Ornamente hervortreten. Die geflochtenen Bänder, die sich unterhalb des Randes entlangzogen, erwachten zum Leben. Die rund geschliffenen Edelsteine, in Medaillons gefasst, mit denen die Wölbung besetzt war, fingen das Feuer ein und gaben es vielfältig wieder. Alles Licht konzentrierte sich auf die Stelle, wo Schale und Fuß sich trafen. Doch dort, wo der Knauf hätte blinken sollen, war nichts. Nur eine Leere, erfüllt von Licht.
    Mit dem Licht kam auch der Klang. Es war ein ganz feiner Ton, der von nirgendwo und überall zugleich zu kommen schien, als ob die ganze Welt darin sänge.
    Eine Hand näherte sich dem Kelch. Langsam, wie im Traum, bewegte sie sich darauf zu. Die Finger öffneten sich, um nach dem Gefäß zu greifen – und prallten gegen eine unsichtbare Wand. Glas klirrte in seiner Fassung.
    »Ein seltenes Stück aus spätrömischer Zeit«, sagte eine Stimme in leicht akzentuiertem Deutsch, »frühes viertes Jahrhundert. Nur der Stein, der früher mal im Knauf war, fehlt. Vermutlich geklaut.«
    Der blondhaarige Kopf, der sich in der Glasscheibe spiegelte, erstarrte.
    Dann überzog ein Grinsen das Gesicht.
    »Ich war’s nicht«, sagte er und wandte sich um.
    Im gleichen Augenblick kehrten die übrigen Geräusche der Umgebung zurück: das Scharren von Turnschuhen auf dem Steinboden und das unterdrückte Kichern und die Gespräche von Jugendlichen ringsum. Teils staunend, teils gelangweilt zogen sie an den Vitrinen entlang. Alle bis auf einen, einen hoch gewachsenen, schwarzhaarigen Kerl in geflickten Jeans und einem verwaschenen T-Shirt von Manchester United.
    »Hi, Siggi!«
    »Mensch, Hagen, wie kommst du denn hierher?«
    Einen Augenblick lang herrschte ein Gefühl der Unsicherheit, ja beinahe der Beklommenheit zwischen den beiden. Sie standen sich gegenüber wie Krieger, zum Kampf bereit, und jeder las in den Augen des anderen, dass dieser wusste, dass sie sich nicht zum ersten Mal so begegneten. Sie waren Rivalen, aber sie waren auch Freunde.
    Dann war der Bann gebrochen, als Hagen Siggis Grinsen erwiderte, und einen Augenblick später lagen sie sich in den Armen und klopften einander auf den Rücken.
    »Mann, bin ich froh, dich zu sehen! Was machst du hier?«, sprudelte es aus Siggi heraus, als sie sich wieder voneinander lösten.
    Hagen grinste immer noch. »Ich wohne hier«, erklärte er mit einer Handbewegung, die den Raum und das ganze Gebäude umfasste.
    »In einem Museum ?«
    Es war in der Tat so etwas wie ein Museum. Ein großer, mit kahlen Gewölben gedeckter Saal, erhellt von rundbogigen Fenstern mit Bleiverglasung, durch die gedämpft das Licht hereindrang. Der Sonnenstrahl war weitergewandert, und jetzt herrschte nur noch die übliche verhangene Helle eines englischen Sommertages.
    In diesem ebenso matten wie klaren Licht sah man die Vitrinen an den Wänden als das, was sie waren: verglaste Schränke mit altem Krimskrams: Urkunden und Fundstücke, Geschirr, Waffen und Gerätschaften. Dazwischen rosteten ein paar Rüstungen auf Ständern stumm vor sich hin.
    »Na ja«, sagte Hagen, »es ist kein richtiges Museum. Es gehört zu Camelot Hall, und das Schloss gehört zur Familie. Ich passe ein bisschen mit auf; dafür darf ich hier wohnen. Bis zum Herbst, wenn ich anfange zu arbeiten.«
    »Arbeiten?« Für Siggi, der gerade die zehnte Klasse hinter sich gebracht hatte, war das ein unbekanntes Wort. »Du machst nicht weiter mit der Schule?«
    Hagen zuckte die Achseln. »Im Herbst bin ich achtzehn. Mein Vater möchte, dass ich zur See fahre wie er. Vielleicht gehe ich zur Marine.« Es klang nicht so, als ob ihn der Gedanke freute. »Du gehörst zu der Horde hier?«
    »Sprachschule«, erklärte Siggi. »Meine Eltern meinen, ich sollte was für mein Englisch tun. Obwohl ich bestimmt nie so gut darin werde wie du in Deutsch.«
    Sie hatten sich vor zwei Jahren kennen gelernt, in Deutschland. Hagen war bei ihnen zu Gast gewesen, aufgrund einer weitläufigen Verwandtschaft seiner Mutter, die eine Deutsche gewesen war. Zuerst hatten sie sich mit Misstrauen angesehen, aber ihre gemeinsamen Erlebnisse hatten sie zusammengeschmiedet. Erlebnisse, die so fantastisch waren, dass man

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