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Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Titel: Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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vorzüglich zu orientieren weiß. Der Beutelmull, der unter als gefahrbringend erkanntem Überbau eigene Tunnelsysteme zu graben versteht, gilt als einzelgängerisch und verweigert als Lockung hingereichten Speck. Zoologen haben sein leises Zirpen in die Rubrik «Gesang der Gefangenen» eingeordnet.

Buch, die
    Aus Haiti nach Europa importierte Schlangenart, berüchtigt für ihre Häutungen, die ihr zum Tarnen dienen. Ihr Kennzeichen: eine überfeine Witterung, mit der sie Erdbeben oder Tsunamis vorausahnt. Von Einheimischen daher als «Unheilsmelder» verehrt; aus demselben Grund in europäischen Medien als Hexen-Reptil denunziert.

Delius, der
    Selbst in einschlägigen Lexika nur schwer aufzufindender Pelzflatterer, der als «kritischer, findiger und erfinderischer Beobachter» gilt. Das bezieht sich auf die Fähigkeit des schlanken, langschnauzigen, fuchsgroßen Tieres, sich über Entfernungen bis zu 70 Meter mittels einer den Körper umgebenden Schwebehaut wie ein Gleitflieger zu schwingen; jener «Mantel» – Fallschirm und Segelfläche zugleich – ist mit feinen weichen Haaren bedeckt. So kann der wetterfühlige Vegetarier sich über Widerstände, kritisch widerborstiges Geäst oder Baumkronen hinwegsetzen und seine Verfolger, wie in einem «Birnbaum von Ribbeck» versteckt, äffen. Obwohl sein vielspitziges Gebiß mit den Schneidezähnen martialisch wirkt, wissen Kenner, daß dieses seltene Flug-Säugetier harmlos ist; seine Stimmlage, die an das Weinen eines hilflosen Kindes gemahnt, wird als Indiz für gruppenscheue «Bescheidenheit» genommen, wie ein Experte es ausdrückt. Eine Akademie nannte ihn gar «menschenfreundlich».

Drawert, das
    Das Drawert wird in der Trivialliteratur die Blauflügel-Prachtlibelle genannt, eine verballhornte Bezeichnung für «dreht sich». Das feingemusterte Tier – die Weibchen tragen goldbraune Flügel, die Männchen schwarz-irisierende – dreht sich nämlich auf der Suche nach Nahrung um sich selber; zwar sind die Extremitäten zum Ergreifen der Beute nach vorne gerichtet, aber die Komplexaugen liegen weit auseinander. Das Tier gebietet mit den bis zu 30   000 Linsen dieser Augen, mit denen es winzigste Details erfassen kann, zwar über präzises Sehvermögen, muß sich aber ständig irritierend in der Luft bewegen, um die «Fangmaske» genannten Mundwerkzeuge zu versorgen. Ähnlich den Großlibellen spreizt das Drawert in Ruhestellung seine Flügel, was ihm auch den zweiten Namen «Rose der Lüfte» eingetragen hat, obwohl alle Libellen anfangs als Nymphen im Wasser leben, ehe sie sich häuten. Der oft langwierige Vorgang ist besonders gut zu beobachten in den Seen der östlichen Umgebung von Berlin.

Dürrenmatt, die
    Weinbergschnecke. Sie befällt vornehmlich bestimmte Weinsorten der Schweiz – Espese; Dôle; Fendant –, von deren Beeren sie sich ernährt. Auf dem Rücken trägt sie ihr besonders zierlich gemustertes Schneckenhaus, zart gefärbt und wie von Künstlerhand modelliert. Nach wie vor unerforscht bleibt die Produktion eines dünnen, aber reißfesten Seidenfadens, was Experten von einem «dramatischen Rätsel» sprechen läßt; tatsächlich kennt die Fachwelt die oft seltsam zu Knoten verschlungenen Fäden bislang nur bei Raupen – die öfter den eigenen Faden wieder verschlingen. Das konnte bei dieser Schneckenart nicht beobachtet werden, obwohl große Scharen von Bewunderern, die extra ins Wallis gereist waren, die Eigenarten des rundlichen Tieres mit Spannung verfolgten. Einige von ihnen wollen eine wohlige Beharrlichkeit bemerkt haben, sogar eine Art Rausch nach allzu behaglich-genießerischem Abnagen der Rebstöcke.

Elsner, der
    Schwarz-langmähnige Afghanen-Rasse. Nervös-furchtsam, daher leicht aggressiv. Eine Droge wurde nach dem elegant und leichtfüßig wirkenden Tier benannt, weil es einen weit stärker ausgeprägten Spür- und Geruchssinn besitzt als andere Artgenossen. Diese Hypersensibilität setzt es instand, Krankheiten, Verwucherungen, eitrige Ausscheidungen des Menschen zu wittern und durch Zähnefletschen zu signalisieren. International prämiert wurde zumeist die grünäugige Züchtung, die von Experten den Namen «Hypnotic Eye» erhielt, in der deutschsprachigen Fachkritik fälschlich als «Böser Blick» eingebürgert.

Enzensberger, der
    Ein Falter, der die Wissenschaft bis heute vor Rätsel stellt. Offenbar eine Nebenentwicklung des Totenkopfschmetterlings. Von dem jedoch gibt es eine Sorte, betörend schön, aber giftig –

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