Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
jetzt eine andere Entscheidung getroffen hätte? Er war müde und wollte einfach nur nach Hause. Zum ersten Mal seit langem ging er wieder aufrecht durch die Gänge seiner Firma. Er schlich nicht an der Wand entlang. Er hielt den Kopf aufrecht und gerade, öffnete die Tür zu seinem Büro, nahm seine Tasche und wollte gerade gehen, als er einem scheinbar nicht näher zu beschreibenden Bedürfnis nachgab. Er öffnete seine Brieftasche und entnahm daraus jene Visitenkarte, die ihm sein damaliger Stellvertreter und heutiger Vorgesetzter mit den Worten übergeben hatte: „Wenn du einmal Spaß haben willst, ruf den Psych an, der über Workplace Violence gesprochen hat. Ich brauche seine Karte sicher nicht.“ Er wählte die Nummer und war froh, mit jemandem sprechen zu können, der gewisse Dinge nicht ver-, sondern beurteilte, der nicht nur beobachtete, sondern auch bemerkte. Er sprach …
49.
Wir beobachten täglich tausend Vorgänge, Dinge, Verhaltensweisen, aber bemerken wir sie auch? Wir können erst etwas interpretieren, wenn wir es bemerken, beobachten alleine ist zu oberflächlich.
Was aber, wenn der Mensch nicht nur beobachten, sondern auch bemerken würde, was er tagtäglich verrichtet: Werke der Demütigung und Verlogenheit, der Vernichtung und Zerstörung, der Gewalt und des brodelnden Hasses. Wir missbrauchen und schlagen unsere Kinder, die wir mit tränenerstickter Stimme als unser Ein und Alles bezeichnen. Wir erschlagen unseren Nachbarn, mit dem wir gestern noch über die Zukunft sprachen. Wir erstechen unsere Frauen und vergessen, dass wir Gefühle der Sehnsucht empfanden. Wir lügen und manipulieren, wir erheischen uns Anerkennung im Wissen, damit den Schwächeren noch schwächer zu machen. Wir verwenden zu rasch die Worte „er ist anders, krank, irre und ein Psychopath“, dabei vergessend, dass wir uns selbst damit der Normalität bezichtigen. Wir rauben und stehlen, betrügen und beuten die Schwachen aus, weil unsere Gefühle für den Nächsten verkümmert sind – ähnlich den Füßen der Blindschleiche.
„Moor, das sind Gedanken deiner Verzweiflung, die gleichsam mit einem einzigen Satz zerreißen werden wie Spinnweben.“
Wir schleifen und zerbeißen andere wie einen zerrissenen Fetzen, ähnlich jenem, der von einem rasenden Hund durch den vom Regen aufgeweichten Innenhof gezerrt wird. Wir zerfetzen sterbliche Überreste und fressen uns gegenseitig auf. Wir gaukeln uns den Sieg auf Raten vor, wissend, dass jeder Sieg bereits den Ursprung der Niederlage beinhaltet. Wir vergiften und verbrennen, zerstören und malträtieren, als ob Menschen der leblosen Materie gleichzusetzen wären. Wir spielen das Spiel des Stärkeren, in der Hoffnung, nie auf einen noch Stärkeren zu treffen. Wir heucheln und hintergehen, wir verschwinden, um uns der Verantwortung zu entziehen, und betrachten uns doch täglich im Spiegel, ohne uns vor Schmerz zu krümmen. Wir spotten der Großen am bittersten, indem wir ihnen schmeicheln, da sie die Schmeichler hassen, und verstecken unseren Hass in Zynismus über andere. Wir verfolgen das Streben nach Macht, Dominanz und Kontrolle, zerstören, sprengen, brandschatzen und nähren unseren Narzissmus am Busen der Erniedrigung anderer.
„Du musst sterben.“
Wir sind auf dem besten Weg, die Erde zu einer Müllhalde und die Meere zu einer Kloake zu machen, weil unsere Gier grenzenlos ist, obwohl wir wissen, dass das Hemd des Todes keine Taschen hat. Wir demütigen unsere Partner, verschieben unsere Kinder, streiten und brüllen wie Stiere um Haus, Auto und Konten und sind taub für die flehenden Worte der kindlichen Unschuld. Unser Hass zieht immer größere Kreise, bis der Abgrund der Vernichtung uns selbst verschlingt. Wir sind blind vor Hass und Wut, verwenden unser eigen Fleisch und Blut als Faustpfand, erschleichen uns Vertrauen und wünschen anderen den Tod. Wir richten, bevor wir geurteilt haben, und erheben uns selbst auf das Podest der Wahrheit. Und weil die Wahrheit keine Hure ist, die sich jedem an den Hals wirft, der sie begehrt, wird sie verrückt, verändert, ausgelöscht.
„Aber ich schlage dir eine Wette vor. Wenn der Arzt an deinem Bette steht und kopfschüttelnd feststellt, jegliche menschliche Hilfe ist umsonst – wenn du dann noch beständig bleibst, so sollst du gewonnen haben.“
Wir prostituieren und halten Ausschau nach neuen Opfern. Wir suchen die Schwachen und missbrauchen ihr Vertrauen. Den Starken heben wir hoch, indem wir ihm lechzend und
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