Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
bettelnd die Stärke zuschreiben, und gleichzeitig wünschen wir ihm den Niedergang und Absturz. Wir erfreuen uns am Leid des anderen und verschnüren unsere Schadenfreude mit dem Band des falschen Lächelns des Mitleids, obwohl uns das unsichtbare Gift der Intrige zwischen den Zähnen hervorquillt wie der Schaum aus dem Mund des Ertrinkenden.
„Aber ich warne dich, Franz Moor, wenn dich beim letzten Atemzug nur der geringste Schauer befällt, dann merkst du zum ersten Mal, dass du dich betrogen hast.“
„Nein!“
Wir bauen Massenvernichtungswaffen und züchten tödliche Viren, im Glauben, damit noch mächtiger zu sein. Wir suchen einen Tropfen Wasser auf fernen Planeten und schauen gleichzeitig erhobenen Hauptes Millionen von Menschen in ihre fiebrigen und hervorquellenden Augen, obwohl wir wissen, dass wir ihnen allen die erdrückende Last des unwiderruflichen Todes abnehmen könnten. Wir gieren nach Erfolg, Siegen und Reichtum auf Kosten von Misserfolg, Untergang und Armut anderer.
„Dann zum ersten Mal, Moor, wird dein diabolisches Nein zu einem heulenden Ja. Dann zum ersten Mal, Moor, wirst du dich fühlen wie der lebendig Begrabene am Kirchhof oder der Selbstmörder, der den tödlichen Schnitt bereits getan und jetzt bereut.“
Wir versklaven unsere Kinder und brechen den Willen anderer Menschen. Wir verschleppen und foltern, wir bauen uns geheime Orte, um unsere abweichenden Fantasien an anderen auszuprobieren. Wir erfreuen uns am Geschrei der Leidenden und töten sie, wenn uns die letzten wimmernden Seufzer zu leise werden. Wir verstümmeln, enthaupten, trinken Blut anderer Menschen und verarzten die Verletzungen, die wir absichtlich geplant und langsam zugefügt haben. Wir ergötzen uns am Betteln des Sterbenden und verwehren ihm den Wunsch nach einem raschen Tod.
„Siehe, Moor, du hast zeit deines Lebens tausend Menschen an jeder Hand gehabt und 999 davon unglücklich gemacht. Bilde dir doch nicht ein, dass all diese Menschen zu Puppenspielern dei ner selbst erkoren wurden. Hüte dich, dass du zum Zeitpunkt des Todes nicht so aussiehst wie Nero oder König Richard III. Für einen Nero fehlt dir nur das Römische Reich und für einen Pizzaro Peru.“
50.
Hamburg, 11.58 Uhr
„Sie wirken etwas müde, Herr Dr. Müller!“ Die „r“ kamen leise, aber rollend.
Das war es. Das war der Satz, der die letzten Zweifel beseitigte. Es war das Messer, das sich unaufhaltsam den Weg in die Tiefe bahnte. Die Hoffnung war die dehnbare Haut, die der scharfen Schneide der Erkenntnis noch kurze Zeit zurückweichenden Widerstand bot, dann aber unter dem Druck sich teilte. Unaufhaltsam bahnte sich der Inhalt dieses kurzen Satzes den Weg nach innen, gleichsam die Lederhaut, die Muskeln durchtrennend – verletzend, entstellend, verstümmelnd und schließlich tötend. Der letzte Versuch dagegenzuhalten, Inhalte, Argumente, Erkenntnisse zu vergleichen, das Für und Wider abzuwägen, waren „ Gedanken meiner Verzweiflung, die gleichsam mit einem einzigen Satz zerrissen wie Spinnweben: Du wirst sterben.“
Der lebendig Begrabene, der Selbstmörder, der bereut, aber den tödlichen Schluck bereits getan – du wirst sterben … Wenn er dir gegenübersitzt und kopfschüttelnd feststellt, „Sie wirken etwas müde!“ – wenn du dann noch beständig bleibst, dann sollst du gewonnen haben. „Das Gift braucht eine Stunde …“ – Es sind Gedanken deiner Verzweiflung.
Wir demütigen andere im Gespräch und verweigern ihnen unsere Erkenntnisse. Wir erwärmen uns an den Strahlen des ruhmreichen Sieges, indem wir uns Unwissende als Zuhörer und bereits Geschlagene als Gegner suchen. Wir rühmen uns unserer Stärke, weil wir unsere Schwächen nicht sehen wollen. Wir begehren nur deshalb den Sieg, weil wir nicht verlieren können. Wir sind von uns überzeugt, arrogant und menschenverachtend – Bestie Mensch! „Du wirst sterben!“
51.
Die Erkenntnis im Untergang: Die Motte war zu nah an die Kerze geflogen. Das Wissen war zu wenig. Der Schwächere hatte den Stärkeren gefunden. Er war gestolpert über sich selbst. Es gibt Menschen, die in Erfahrungswelten leben, die wir nicht betreten können. Es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten sollten. Verhalten ist bedürfnisorientiert.
Er rührt immer noch um in seinem Tee, den er gebracht und angeboten hat. Er bittet mich, ihm die Originale des Aktes wieder zurückzuschicken, die er mir vor Stunden überreicht hat – nein, das werde ich nicht.
„Du wirst sterben.
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