Bestimmt fuer dich
glücklich fühlen könnte. War das vielleicht zu viel verlangt? Mussten nicht die meisten Menschen ohne das Gefühl von Glück auskommen? Sollte man nicht schon froh sein, überhaupt über die Runden zu kommen?
Aber Rosanna wollte mehr. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich nicht damit zufriedengegeben, bloß zu existieren. Sie wollte genau den Punkt erreichen, an dem sie nicht länger befürchtete, ihr richtiges Leben verpasst zu haben. Sie wollte nicht das Gefühl haben, als würde sie im falschen Zug sitzen. Es ging ihr nicht um mehr Geld, eine größere Wohnung, teurere Kleidung, eine angesehenere Arbeit. Den richtigen Platz im Leben zu finden, ihren Platz – das war ihr größter Wunsch. Und solange sie den nicht gefunden hatte, würde sie vermutlich weitersuchen, auch wenn das bedeutete, herumzuirren und wo möglich nie anzukommen.
Dass es ausgerechnet heute einen Jahrmarkt in der Stadt gab, war kein Zufall. Er fand hier jedes Mal statt, wenn der Frühling sich dem Sommer näherte oder der Herbst dem Winter. Rosanna hätte eigentlich lieber einen Bogen um den Jahrmarkt gemacht. Aber die Stände hatten plötzlich ihren Weg gesäumt, als wären sie wie Kulissen um sie herum aus dem Boden gefahren, während ihre Gedanken sie abgelenkt hatten. Nun suchte sie eilig nach einem Ausgang, um den aufsteigenden Erinnerungen zu entgehen. Natürlich spielte dabei Lukas eine Rolle. Vermisste sie ihn? Nicht seine Angst – davon hatte sie selbst genug. Auch nicht seine Zweifel. Oder seine Orientierungslosigkeit, die er mit Ironie kaschierte. Obwohl sie seine Ironie mochte. Und seine Orientierungslosigkeit eigentlich teilte. So wie seine Zweifel und seine Angst.
Wenn Rosanna ehrlich war, hatten sie und Lukas in jener Woche, in der sie die Welt außen vor gelassen hatten, zwar nie über ihre Ähnlichkeiten gesprochen, sie aber die ganze Zeit gespürt. Und anders als erwartet hatte Rosanna sich von ihnen nicht abgestoßen gefühlt, sondern gewärmt wie von einer festen Umarmung gegen einen eiskalten Wind. Zuvor hatte Rosanna oft davon geträumt, jemanden zu finden, der ganz anders war als sie, jemanden, der sie aus ihrem ganzen Schlamassel herausziehen und verändern konnte. Aber in ihrer Zeit mit Lukas hatte sie angefangen darüber nachzudenken, ob genau dieser frühere Wunsch vielleicht ein wesentliches Hindernis auf ihrem Weg gewesen war.
Eine Gruppe von Besuchern schob sich grölend auf sie zu, sodass Rosanna zurückweichen musste. Abgenutzte Liebeslieder dröhnten aus einem Lautsprecher hinter ihr. Der Geruch von Popcorn und Bier drang in ihre Nase. Rosanna beschleunigte ihre Schritte, um endlich den Jahrmarkt hinter sich zu lassen.
Hinter der Theke einer Wurfbude stand ein untersetzter, kahlköpfiger Mann und stopfte sich mit dem Inhalt einer riesigen Chipstüte voll. Rosanna konnte sein krachendes Kauen hören, als sie an dem Stand vorbeieilte. Sie spürte, wie sein erstaunter Blick an ihr haften blieb. Zuerst wollte sie so schnell wie möglich weiter. Dann aber hielt sie an und gaffte zurück.
Der Mann verschluckte sich fast. Dann grinste er. »Das gibt’s ja nich’ …«
Als Rosanna den Mann erkannte, war sie geneigt, ihm zuzustimmen. Er wischte sich eilig den mit Paprikagewürz verschmierten Mund ab und verstaute die Chipstüte unter der Theke, bevor er Rosanna heranwinkte.
Sie wollte seiner Aufforderung eigentlich nicht folgen. Aber sie war neugierig zu erfahren, wo der große Shandu seine Kristallkugel gelassen hatte.
»Wie geht’s?«, fragte Shandu, der in Wahrheit Hartmut hieß.
»Was machen Sie hier?«, fragte Rosanna zurück.
»Arbeiten«, sagte Hartmut achselzuckend. »In meinem Job geht man dorthin, wo man gebraucht wird.«
Rosanna deutete auf die Wurfbälle und Kegel. »Sind Sie dafür nicht ein wenig überqualifiziert?«
»Meinen Sie?« Hartmut lächelte.
»Warum sagen Sie nicht weiter die Zukunft voraus?«
»Ach das …« Hartmut kratzte sich am Kinn. »Habe ich nur ausnahmsweise gemacht. Als Vertretung für meinen Bruder. Aber der beherrscht die ganzen Tricks viel besser.«
Rosanna schüttelte fassungslos den Kopf.
»Was denn?«
Sie lächelte dünn. »Sie waren ziemlich überzeugend.«
»Echt?« Hartmut strahlte sie an, legte dann seinen Kopf schief und verengte seine Augen. »Wo ist denn Ihr Freund? Ich hoffe, Sie haben mir den Scheiß nicht geglaubt.«
Rosanna warf ihm einen betont amüsierten Blick zu. »Tut das jemand?«
Hartmut schmunzelte. »Die Leute glauben doch alles. Aber
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