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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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«Gleitschächte, die in Bahndämmen oder bei Wasserfällen enden, sind natürlich sehr, sehr gefährlich, aber dieses alte Ding hier ist ganz harmlos.» Und sie tätschelte die Rinne wie einen alten Hund. «Schau doch mal her, Betsy.»
    Widerstrebend näherte ich mich, kniete von neuem nieder und starrte in den unendlichen grünen Tunnel. Die Geschichte wirkte schon weniger unheimlich. Jedenfalls war alles still und von tosenden Wassern nichts zu hören.
    «Komm, wir rutschen ein Stückchen hinunter und kriechen dann wieder herauf», schlug Mary vor.
    «Geh du als erste», sagte ich nicht sehr begeistert.
    «Aber Betsylein!» wandte Mary schmeichelnd ein. Betsylein pflegte sie mich immer dann zu nennen, wenn sie im Sinn hatte, mich zur Ausführung irgendeiner ihrer unbehaglichen Ideen zu überreden. «Ich bin doch viel stärker und größer als du. Da ist's doch besser, ich bleibe draußen und halte dich an den Füßen fest.»
    «Geh du als erste», wiederholte ich hartnäckig.
    «Du wirst sehen, das ist der größte Spaß, den wir je gehabt haben», lockte Mary. «Zip — und wie ein Zug durch den Tunnel sausen wir hinunter, und bevor wir's uns versehen, sind wir unten angelangt. Hand aufs Herz, Betty, daß du keiner Menschenseele ein Wort von unserer Rutschbahn erzählst.»
    Gehorsam legte ich die Hand auf mein dumpf pochendes Herz, und im gleichen Augenblick hatte ich das seltsame Gefühl, dies alles schon einmal erlebt zu haben. Marys Augen funkelten. «Wir gehen mal mit Gammy und Cleve hierher, und wenn sie gerade nicht gucken, flitzen wir in unsere Rutschbahn, und wenn sie uns dann suchen, tauchen wir unten am Berg wieder auf.»
    Wieder blickten wir in den dunklen Schacht. Daß Mary das Ding als «unsere Rutschbahn» bezeichnete, machte es ein bißchen weniger unheimlich. Auch schien der Schacht nicht mehr gar so dunkel und furchterregend.
    «Angenommen, ein Bär ist hinter uns her, oder wir wollen irgend jemandem entwischen, brauchen wir bloß in unsere Rutschbahn zu springen, und wir sind sicher.»
    «Aber wo kommt man raus?» erkundigte ich mich mißtrauisch.
    «Ach, wahrscheinlich bei einem Sandhaufen», erwiderte meine Schwester sorglos. Einen Sommer hatten wir bei einer nicht mehr benützten Erzrutsche gespielt, und am Ende dieser Rutsche war ein Sandhaufen gewesen. Doch daran dachte ich im Augenblick nicht. Ich war überzeugt, daß Mary wußte, wo «unsere Rutschbahn» endete.
    «Woher weißt du das?» wollte ich jedoch vorsichtshalber wissen, aber Mary wich dieser präzisen Frage aus. Sie blickte zu einer hohen Tanne, die in der Nähe wuchs, und meinte sinnend: «Ob sich wohl da ein Seil befestigen läßt, an dem wir uns wieder heraufziehen können?»
    «Oh, Mary, vielleicht können wir so eine Ziehvorrichtung machen wie die, an denen wir Nachrichten über die Straße schicken», fiel ich begeistert ein.
    «Das ist eine großartige Idee», lobte Mary. «Natürlich! Und dann rutschen wir hinunter, ziehen uns herauf, rutschen wieder hinunter und immer so weiter. Wir können sogar andere Kinder fahren lassen und Eintritt verlangen, wie beim Karussell» Was war ich für ein unbelehrbarer Dummkopf, daß mich die Erwähnung vom Hinauf und Hinunter nicht an unsere verunglückte Schlittenpartie erinnerte, wo der Balken uns durch den Anprall an die Hauswand den Berg rücklings hinauf schicken sollte und mir statt dessen alle Zähne einschlug.
    «Los, Betsylein, mach schnell, sonst kommen Gammy und Cleve, und dann ist's zu spät. Du hast doch gehört, wie Gammy gesagt hat, sie wolle vor dem Abendbrot noch einen Spaziergang hierher machen.»
    Kopf voran kletterte ich in den dunklen Schacht. «Halt meine Füße fest!» rief ich, aber es war schon zu spät. Die dürren, von der Sonne heißen Tannennadeln bildeten einen sehr schlüpfrigen Teppich. Innerhalb einer Sekunde war ich außer Marys Reichweite, und Kopf voran sauste ich den endlos langen grünen Tunnel hinunter. «Hilfe! Hilfe!» schrie ich angsterfüllt. Dumpf dröhnend echote es: «Eeelfe! Eeeelfe!» Die Gleitbahn wurde immer steiler, und ich sauste mit ständig zunehmender Schnelligkeit in die Tiefe. Der Beerenkessel an meiner Seite polterte gegen die Wand, mein Strohhut saß schief über einem Auge. «Hilfe! Hilfe!» schrie ich unablässig, aber ich war allein und verlassen meinem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Von Mary war nichts zu hören.
    Einmal blieb ich in einem eben liegenden Teil des Schachtes stecken. Mit rudernden Bewegungen versuchte ich

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