Blamage
Vorwort
Leben wir in einer Gesellschaft, in der nichts mehr peinlich ist, in einem »Zeitalter der Schamlosigkeit«? Die A- und die B-Prominenten machen es vor: ungebremster Exhibitionismus und öffentlicher Seelenstrip; das Intime, Private wird auf allen Kanälen in marktschreierischer Lautstärke diskutiert. Fehler, Inkompetenz oder opportunistische Kurswechsel werden von dreisten Politikern oder Managern als Beweise von Flexibilität und strategischer Weitsicht umgedeutelt. Die wahre Epidemie der Hochstapelei, die wir in den letzten Jahren erleben konnten, setzte diesem Trend die Krone auf: Schwindler, Bluffer und Blender, die, nachdem sie aufgeflogen waren, nicht etwa klein beigaben, sondern alles an sich abperlen lieÃen und einfach an einer anderen Stelle weitermachten, im nächsten Job, beim nächsten Immobilienfonds, im nächsten Aufsichtsrat, im nächsten Think-Tank ⦠Man könnte ja meinen: Wer hoch stapelt, fällt besonders tief und müsse dann vor Scham in der Versenkung bleiben â doch ist offenbar das Gegenteil der Fall. Leben wir inzwischen in einer Gesellschaft von Egomanen, denen jedes Empfinden für Peinlichkeit, jedes Schamgefühl abgeht, von Leuten, die weder ein realistisches Bild von sich selbst noch von ihrer sozialen Umgebung haben? Stellen Typen, denen nichts mehr peinlich ist, inzwischen die breite Mehrheit?
Andererseits (und das wird oft vergessen) wächst aber auch die Zahl der peinlich Berührten, der Schüchternen. Die Zeit titelte im Herbst 2011 gar schon: »Die Angst vorm Fettnäpfchen ist allgegenwärtig« und schrieb über »die Wiederkehr eines scheinbar verschwundenen Gefühls«, über eine Renaissance des Peinlichkeitsempfindens. Beide Extreme haben offenbar starken Zulauf, die unangenehm Lauten und die bedenklich Stillen, doch die extrovertierten Blender übertönen diejenigen, die sich aus der Gesellschaft zurückziehen und sich verschlieÃen. Diese Polarisierung zeigt: Das Peinlichkeitsempfinden ist eine überaus starke Emotion. Obwohl die Schamlosigkeit ein Merkmal der neuen Promi-Elite geworden ist, das in bestimmten Kreisen als Vorbild gilt, sind viele der bescheideneren und unauffälligeren Zeitgenossen sehr wohl darum besorgt, Peinlichkeiten im Alltag zu vermeiden. Und es gibt sogar nicht wenige, bei denen die Panik vor der Peinlichkeit so groà wird, dass sie vollkommen lähmend und bremsend wirkt. Die Betroffenen fürchten sich dann vor jeder Situation, in der sie von anderen beobachtet und bewertet werden könnten, sie fürchten, zu versagen und sich lächerlich zu machen, vermeiden jede Art von Risiko und steigern sich zum Teil in absurde Ãngste hinein.
Doch was ist Peinlichkeit überhaupt? Was geschieht bei einer Blamage? Das fein gesponnene Netz von Umgangsformen, Signalen und Regeln gilt als die zweite Natur des Menschen. Ãberall auf der Welt, in jeder Kultur, bei jedem einzelnen Menschen ist es von Bedeutung. Die Blamage verletzt dieses Gewebe. Wir fallen hindurch, fallen aus Raum und Zeit, stellen uns im Moment des Fauxpas auÃerhalb der Gemeinschaft und auÃerhalb von uns selbst und denken: »Nein, das bin ich nicht, das kann ich nicht sein!« In Momenten wie diesen entfernt sich unser Selbstbild plötzlich von unserem Wunschbild, das wir bei anderen erzeugen wollen. Das Erleben und Bewältigen von Peinlichkeiten ist Teil jeder Persönlichkeitsentwicklung, und das Reden und Flachsen über Peinlichkeitserlebnisse ein Spaà in heiterer (und angeheiterter) Runde. Oft scheint es, dass jeder bereitwillig dazu etwas beitragen kann. Doch häufig sind es nur Tarngeschichten, harmlose Varianten oder schlichtweg erfundene Storys (besonders bei den Prominenten), hinter denen sich die wirklich drastischen Blamagen verbergen.
Auf den folgenden Seiten erwartet Sie ein imposantes Panorama peinlicher Situationen, Hunderte von Gelegenheiten, sich in allen erdenklichen Lebenslagen zu blamieren: erotische Fauxpas, Kommunikationsdesaster, unkontrollierte Körperfunktionen, katastrophale Outfits und vieles, vieles mehr. Einiges wird Ihnen bekannt vorkommen â und auch der Autor selbst hat ebenfalls etliches davon durchlitten. Dann werden wir der Frage, was Peinlichkeit überhaupt ist, auf den Grund gehen. Wie definiert sich ein Fauxpas? Wie sind solche Aussetzer und Fehlleistungen überhaupt möglich? Und was ist der Unterschied zwischen
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