Between Love and Forever
›Ich versteh’s einfach nicht.‹ Manchmal denke ich, das hat sie am meisten aufgeregt. Dass ich mich mit jemand anderem einlassen konnte, und sei es auch nur für eine Nacht.«
»Tess war nicht ... sie war nicht schlecht, ehrlich.« Ich wundere mich selbst, dass ich das sage, weil es Zeiten gab, als ich Tess richtig hasste. Die Zeit vor dem Unfall.Nach dem Unfall. Aber sie war nicht die, für die ich sie gehalten habe. Und jetzt, seit ich mehr über sie weiß, über ihr wahres Ich, ist mir klar, wie sehr sie alles verpfuscht hat, ihr ganzes Leben zerstört. Wie unvollkommen sie war.
Und dass sie fähig war, sich selbst das Herz zu brechen, so wie ich.
»Ich weiß«, sagt Claire, und als sie mein Gesicht sieht, fügt sie hinzu: »Wirklich. Jedenfalls jetzt. Als sie das erste Mal vom College nach Hause kam und ich ihr begegnet bin, bin ich nicht zusammengebrochen. Ich dachte nur: ›Oh, da ist Tess.‹ Und dann musste ich sofort wieder an Cole denken und ob er hungrig ist oder nicht. Ich hatte das Baby, und ...«, sie zuckt die Achseln, »wenn du ein Kind hast, kannst du nicht mehr nur an dich denken.«
»Aber du vermisst sie.«
»Nein«, sagt Claire und schüttelt den Kopf. »Ich ... es ist nur, wenn ich sie da liegen sehe, dann denke ich: Nein. Und dass sie das nicht verdient hat. Und ich wünsche mir, dass sie aufwacht. Dass wir noch mal fünfzehn wären. Dass ich ihr nie begegnet wäre. Und dann wieder wünsch ich mir, sie hätte gesagt: Ich will dich. Nur dich. Und dass es ihr leidtut. Alles.«
»Das hätte sie auch ...«, fange ich an und breche mitten im Satz ab, weil ich es nicht weiß. Die Tess, die ich kenne, hätte sich nicht entschuldigt – sie hat sich nie für irgendwas entschuldigt, weil sie es nicht nötig hatte, weil sie nie was falsch machte. Aber die andere Tess, die wahreTess, hätte es vielleicht auch nicht getan. Vielleicht wusste sie, dass »Tut mir leid« manchmal einfach zu wenig ist.
Vielleicht wusste sie, dass es unverzeihlich ist, was sie Claire angetan hat.
»Manchmal muss man einfach damit leben, dass es nicht so gekommen ist, wie man es gern hätte«, sagt Claire.
»Ich will, dass es ihr leidtut.«
»Ich auch«, sagt Claire und drückt ihre Zigarette aus. »Das will ich auch. Aber ich würde auch gern aus dem Haus hier ausziehen und jemand kennenlernen, der mich mag und meine Hand hält, und zwar vor allen Leuten.«
»Du findest schon jemand«, sage ich und sie schaut mich an.
»Nein«, sagt sie. »Wahrscheinlich nicht. Ich bin zweiundzwanzig und hab ein zweijähriges Kind und ich lebe bei meinen Eltern in einem Ort, wo alle mehr oder weniger miteinander verwandt sind. Ich wasche kranke und sterbende alte Leute und wechsle Bettpfannen. Und wenn ich nach Hause komme, kümmere ich mich um meinen Sohn und gehe ins Bett.«
»Das heißt doch nicht, dass du nicht glücklich sein kannst.«
»Wer sagt, dass ich nicht glücklich bin?«, entgegnet Claire und dann grinst sie mich an. »Ich bin nicht unglücklich, Abby. Ich lebe einfach. Ich hab Cole, ich hab meine Eltern, ich hab einen Job. Das ist genug.«
»Nein, das ist nicht genug«, protestiere ich, so heftig, dass ich selbst erschrecke.
»Warum nicht?«, sagt Claire. »Nimm doch dich. Du machst doch auch nichts anderes. Vor dem Unfall bist du aufgestanden, in die Schule gegangen und wieder nach Hause gekommen. Jetzt stehst du auf, gehst in die Schule, besuchst Tess und kommst wieder nach Hause. Eli hast du total vergrault und ...«
»Ich will nicht über Eli sprechen«, murre ich. »Und schon gar nicht, wenn du wieder auf mir rumhackst.«
»Gut«, sagt Claire. »Wenn du meinst, du musst was wegwerfen, das toll sein könnte, nur weil du nicht weißt, wie es weitergeht, bitte ...«
»Ich bin nicht wie Tess.«
»Doch, das bist du, weil du auch Angst hast. Nicht vor den gleichen Dingen wie sie, aber Angst hast du trotzdem. Weißt du, was mir damals jemand hätte sagen müssen, als ich nicht wusste, was ich tun sollte? Ich meine, nachdem Tess mir gesagt hatte, dass sie sich nie outen würde und dass alles so bleiben müsste, wie es war?«
»Dass du ohne sie besser dran wärst?«
Claire schüttelt den Kopf. »Nein, das hab ich mir schon selber gesagt. Das und noch viel mehr, bis ich eines Morgens aufgewacht und unter die Dusche gegangen bin und plötzlich gemerkt habe, dass meine Periode schon längere Zeit ausgeblieben war. Und da, verstehst du, hätte mir jemand sagen müssen, dass ich es verdiene, von Tess genauso
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