Beutewelt 04 - Die Gegenrevolution
zogen durch die Hafenstadt. Die Veranstaltung verlief ohne größere Zusammenstöße mit der Polizei. Artur Tschistokjow hatte für die kommenden Wochen einen Vorstoß nach Riga geplant, der die dort ansässige Vasallenregierung stürzen sollte. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren und die mittlerweile militärisch organisierten Ordnertrupps waren mit weiteren Kriegswaffen aus Japan ausgerüstet worden.
Der Anführer der Rus beabsichtigte, mit mindestens 30000 bewaffneten Männern nach Riga zu kommen. Vorher sollten, wie bereits in der weißrussischen Revolution erprobt, wichtige strategische Ziele unter Kontrolle gebracht werden. Wilden war inzwischen wieder nach Minsk zurückgekehrt und überbrachte gute Neuigkeiten aus dem fernen Osten.
Der japanische Präsident Matsumoto hatte versichert, Weißrussland und Litauen im Falle eines GCF-Angriffs nicht im Stich zu lassen. Was er genau damit meinte, konnte der Außenminister allerdings nicht sagen. Aber es klang zumindest gut und so glomm in Tschistokjows Kabinett in Minsk ein wenig Zuversicht auf.
Schritt für Schritt
Frank drückte sich den Telefonhörer noch ein wenig fester an sein Ohr und lauschte erwartungsvoll dem leisen Tuten. Nach etwa einer Minute hob Agatha Wilden, Julias Mutter, endlich ab. Die Frau des Außenministers begrüßte Kohlhaas etwas verhalten und ging dann in die obere Etage, um ihre Tochter ans Telefon zu holen.
„Hallo?“, schallte es kurz darauf aus dem Hörer.
„Hallo, Julia! Ich bin’s! Ich wollte mich nur mal melden“, sagte Frank aufgeregt und lehnte sich gegen die schmutzige Glasscheibe der Telefonzelle.
„Na, wie ist die Lage?“, fragte Julia trocken.
„Hör bloß auf, wir sind mal wieder rund um die Uhr unterwegs. Wir bereiten gerade eine große Sache vor, mehr darf ich aber nicht sagen. Falls einer mithört, weißt du?“, erklärte Kohlhaas.
„Noch eine große Sache?“
„Ja, ich bin an der Grenze zu Lettland. Alf ist auch dabei. Wir wollen morgen …“, sagte der junge Mann und unterbrach sich dann selbst.
„Aha!“, gab Julia nüchtern zurück.
„Und was machst du so?“, wollte Kohlhaas wissen.
Die Tochter des Dorfchefs schwieg für einen kurzen Moment, schließlich antwortete sie: „Schön, dass du auch mal danach fragst, Frank. Ich lese gerade einige Bücher über Pädagogik. Es ist übrigens äußerst bemerkenswert, was Artur Tschistokjow in „Der Weg der Rus“ über die Erziehung der Jugend schreibt, aber das nur am Rande. Gerade lese ich jedoch ein anderes Buch zu diesem sehr interessanten Thema“, erläuterte Julia.
„Pädagogik?“, wunderte sich Frank.
„Ja, genau!“
„Artur schreibt, dass alle Erziehung nur einem Ziel dienen soll: Die Jugend muss …“, rezitierte Frank, doch die junge Frau fiel ihm ins Wort.
„Ich weiß, aber ich möchte mich zunächst einmal noch mit anderen Büchern befassen. Etwas allgemeineren Büchern, ich will nämlich Lehrerin werden.“
„Was?“
„Ich möchte Lehrerin werden. Daher auch mein Interesse an diesen Themen. Vielleicht gehe ich in ein paar Monaten nach Wilna, um dort zu studieren. Das wäre doch nicht schlecht, oder?“, sagte Julia und schien gespannt auf Franks Reaktion zu warten.
„Warum das denn? Nach Wilna?“, erwiderte Kohlhaas verwirrt.
„Ja, die Universität in Wilna ist eine hervorragende Institution, das meint übrigens auch mein Vater. Ich glaube, dass ich das Zeug zu einer guten Lehrerin habe. Was sagst du dazu?“
Frank brummte leise vor sich hin. „Warum bleibst du denn nicht in Ivas?“
„Soll ich hier vielleicht ewig herumgammeln? Ich will auch etwas aus meinem Leben machen. Du bist weg, mein Vater ist weg und zudem das halbe Dorf. Nein, ich habe mich entschlossen, jetzt selbst aktiv zu werden. Ich könnte mir gut vorstellen nach Wilna zu gehen, um dort ein Studium zu beginnen. In den Semesterferien könnte ich dann Frau de Vries helfen. Die plant nämlich, hier im Dorf eine kleine Schule einzurichten. Ich habe es meinem Vater auch schon erzählt und der findet die Idee sehr gut…“, bemerkte Julia.
„Eine Schule in Ivas? Ja, das ist eine gute Idee. Aber dafür musst du ja nicht auch noch studieren und nach Wilna gehen“, meinte Frank wenig begeistert.
„Doch, ich denke, das sollte ich tun. Eigentlich freue ich mich auch schon auf das Studium, das wird bestimmt sehr interessant. Danach kann ich an allen Staatsschulen unterrichten.“
„Das kannst du doch auch so. Du bist immerhin die Tochter des
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