Beutewelt 05 - Bürgerkrieg 2038
blutende Hand.
„Halt die Schnauze!“, brummte der KKG-Funktionär zurück und ließ Frank wieder in seine Zelle werfen.
Der Inhaftierte lag auf dem Rücken und schnaufte leise. Wo früher der kleine Finger seiner linken Hand gewesen war, klaffte jetzt eine mit Blut verkrustete Wunde. Seinen zerschmetterten Zeh hatte er sich nicht mehr angesehen, was nichts daran änderte, dass er nur noch durch die dunkle Zelle humpeln oder kriechen konnte.
Sieben Mal war die Sonne seit dem letzten Verhör vor seinem kleinen Dachfenster auf- und niedergestiegen. Sieben Nächte voller Ängste und unruhigem Schlaf waren vergangen. Einmal hatten ihn die Kollektivisten mitten in der Nacht mit kaltem Wasser übergossen und dann liegen lassen. Jetzt, wo der Winter mit voller Härte über Russland hereinzubrechen drohte, hätte das seinen Tod bedeuten können.
Frank pinkelte in einen schäbigen Plastikeimer und stellte ihn wieder neben die Stahltür des Betonraumes. Es stank in seiner Zelle inzwischen wie in einem Kuhstall und er konnte manchmal vor Ekel und Abscheu kaum noch atmen.
Mit jedem verstreichenden Tag wurden seine Ängste schlimmer und die furchtbaren Erinnerungen an seine Zeit in der Holozelle nagten an seinem Geist wie Ratten am Gebälk eines modrigen Hauses.
„Ich bin mal gespannt, wann Herr Irrsinn wieder kommt“, sagte er manchmal leise zu sich selbst und grinste sarkastisch.
Wenn sie ihn noch weitere Wochen, Monate oder gar Jahre in diesem Loch lassen würden, dann würde Herr Irrsinn wieder auftauchen, da war sich Frank sicher. Auf ihn konnte man sich zumindest verlassen, denn er fand den Weg in jede Zelle auf der ganzen Welt. Der imaginäre Freund benutzte nämlich nicht die üblichen Ein- und Ausgänge, wie die gewöhnlichen Menschen. Nein, er kam durch das klaffende Portal des Wahnsinns, das sich wieder in Franks Kopf geöffnet hatte.
„Wenn sie mir jedoch den Kopf abhacken, dann kann auch Herr Irrsinn nicht mehr kommen“, erklärte sich Frank in diesen Stunden die Situation vollkommen logisch.
Aber im Gegensatz zur immer gleichen Holozelle bot die Gefangenschaft bei den Kollektivisten zumindest ab und zu etwas mehr Abwechslung, auch wenn es sich hierbei lediglich um Verhöre und Folterungen handelte. Die Schmerzen, welche sie ihm zufügten, erinnerten ihn zumindest daran, dass er noch lebte.
„The pain is here, to tell me that I’m still alive!”, schoss es Frank manchmal durch den Kopf. Es war die Textzeile eines alten Heavy Metal Liedes, das er als Jugendlicher oft gehört hatte. Hier passte sie durchaus.
Zwei lange Wochen waren inzwischen vergangen und Kohlhaas war noch mehrfach verhört worden. Er hatte den Kollektivisten nichts erzählt und immer wieder beteuert, dass ihm die Stärke von Tschistokjows Armee nicht bekannt war. Und das war nicht gelogen. Denn der General wusste bezüglich dieser Fragen lediglich Bruchstücke, definitiv zu wenig, um den Verhörenden brauchbare Informationen liefern zu können.
Doch sie glaubten ihm nicht und übersäten seinen geschundenen Körper mit Schnitten, Einstichen und Schlägen, so dass Frank nach stundenlanger Folter oft halb ohnmächtig in seine Zelle zurückgeschleift werden musste.
Blutige Schwellungen bedeckten sein Gesicht und nach jedem Verhör waren neue dazugekommen. Seine Oberarme waren mit scharfen Klingen zerschnitten worden und der Gefangene hatte sich längst damit abgefunden, dass es keinen Ausweg mehr aus dieser Hölle gab. Er war nur noch ein blutendes Stück Fleisch, dessen Auslöschung bereits beschlossen war. Diesmal konnte ihm auch sein Glück nicht mehr helfen, dessen war sich Kohlhaas sicher. Daher versuchte er sich mit dem Gedanken an ein baldiges Ableben anzufreunden. Oft lächelte er mit einem Anflug von geistiger Umnachtung in sich hinein und erklärte sich, dass er bald vom Leid der Welt erlöst sein würde. Er hatte den Horror der Holozelle überlebt, nur um noch mehr zu leiden, wie er meinte.
Sein Gefühl für die Zeit war Frank mittlerweile abhanden gekommen und es interessierte ihn auch nicht mehr, was aus Tschistokjows Revolution wurde. Das waren Angelegenheiten der Sterblichen hier auf Erden, doch ihre Welt würde er bald verlassen. Zu Tode gepeinigt in diesem grauen Gefängniskomplex oder mit zerschossenem Kopf auf einem schlammigen Acker.
Das einzige, was ihn immer wieder kurzzeitig aus seiner Lethargie und Depression herausriss, waren die flüchtigen Gedanken an Julia. Aber auch sie, seine große Liebe, deren Herz
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