Beutewelt 06 - Friedensdämmerung
Tschistokjow klar.
„Nein, aber eine wirtschaftliche Öffnung könnte der gebeutelten Ökonomie Russlands einige Vorteile bringen.“
„Unserer Wirtschaft geht es gut und wir werden, von Japan abgesehen, von keinen anderen Handelspartnern abhängig sein. Aber es bewegt mich, dass Sie sich solche Sorgen um unser Wohlergehen machen, Herr Weltpräsident.“
„Überlegen Sie es sich einfach in Ruhe. Unser Angebot steht. Die Weltregierung will Frieden und offene Handelsbeziehungen, das kann ich Ihnen jedenfalls versichern.“
„Gut, ich werde darüber nachdenken“, versicherte der russische Staatschef.
Sein Gesprächspartner nickte zufrieden und erklärte diese erste Verhandlung für beendet. Die beiden Politiker beendeten ihre interne Sitzung, verließen den kleinen Konferenzraum im Präsidentenpalast, um sich anschließend den vor der Tür lauernden Schwärmen von Journalisten und Kamerateams zu widmen. Das erste Friedengespräch zwischen Artur Tschistokjow und dem Weltpräsidenten war vorbei. Nun wartete noch eine lange Pressekonferenz auf die beiden Politiker.
„Meilenstein auf dem Weg zum Weltfrieden!“, titelte am nächsten Tag die größte Zeitung Nordamerikas, während die Volkszeitung der Rus das hochbrisante Gespräch in St. Petersburg mit der Schlagzeile „Artur Tschistokjow kämpft für den Frieden!“ kommentierte.
Es folgten unzählige Fernsehberichte und Reportagen auf sämtlichen Kanälen quer durch alle Länder des Erdballs und beide Seiten waren bemüht, sich als die jeweils größten Friedensapostel zu präsentieren.
Es war jedenfalls eine Tatsache, dass sich Artur Tschistokjow das unerwartete Angebot des Weltverbundes in erster Linie mit seiner eigenen politischen Macht erklärte und davon sprach, dass die Logenbrüder Russland inzwischen offenbar fürchteten.
Viele seiner Kabinettsmitglieder sahen es hingegen anders, sprachen von einer „neuen Form der Zersetzungsarbeit“ des Feindes und wurden nicht müde, ihren Anführer vor weiteren Verhandlungen mit der Weltregierung zu warnen. Doch der russische Souverän winkte ab und ließ die Kritik seiner Berater ins Leere laufen. Tschistokjow betonte ihnen gegenüber, dass man keine Chance auf Frieden vertun sollte und bald waren Außenminister Wilden und all die anderen mit ihrem politischen Latein am Ende. Die zum ersten Mal verhältnismäßig positiven Berichte in der internationalen Presse schienen regelrechter Balsam für die Seele des russischen Staatsoberhauptes zu sein und dieser genoss es offenbar, dass er endlich einmal nicht als „wahnsinniger Diktator“ oder „gefährlicher Kriegshetzer“ beschimpft wurde.
So hielt Artur Tschistokjow nun auch im ganzen Land flammende Reden, in denen er seinen festen Willen zum Frieden beteuerte. Er sprach vom „Ende der Eiszeit“ und spielte damit auf den historischen Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA an.
„Einen solchen Zustand wollen wir nicht noch einmal haben. Jahrzehnte voller Misstrauen und Hass sind das, was unser kriegsgezeichnetes Land zurzeit am wenigsten gebrauchen kann“, sagte Tschistokjow vor Tausenden seiner Rus bei einer Rede in Smolensk.
Trotzdem schlug dem einst so revolutionären und radikalen Rebellenführer von Seiten seiner alten Kämpfer nach wie vor großes Unverständnis entgegen. Dass gerade er, der ansonsten immer seine unüberwindliche Feindschaft gegenüber den Logenbrüdern unterstrichen hatte, jetzt auf einmal vom Frieden mit dem Todfeind sprach, wirkte auf viele Rus nicht ganz zu Unrecht befremdlich.
Frank und Alfred waren inzwischen wieder nach Minsk zurückgekehrt und vertrieben sich die Zeit diesmal nicht mit weltpolitischen Theorien. Zwar waren auch sie keineswegs von Artur Tschistokjows neuem Weg angetan, doch wandten sie ihre Aufmerksamkeit Wichtigerem zu. Frank verbrachte seine Zeit mit Julia und Friedrich, die sich schon riesig auf das Weihnachtsfest freuten. Anfang Dezember machten sie noch eine kleine Rundreise durch Weißrussland und gönnten sich ein paar ruhige Tage in Brest.
„Soll doch Artur erst einmal machen, was er will…“, hatte Bäumer Frank und Julia noch gesagt und ihnen dann eine gute Reise gewünscht. Und sicherlich war ein dauerhafter Frieden für sie alle auch nicht die schlechteste Option, wie es sich Frank selbst eingestehen musste.
Julia atmete die kühle, frische Luft tief ein und blickte von den Zinnen einer alten Burg auf die Stadt Brest hinab. Heute schien die Sonne noch einmal mit aller Kraft
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