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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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Frost zurück, wie mit einem letzten krampfhaften Zucken. Es wird April. Die Abende sind mild und hell. Es riecht nach Frühjahr. Und eines Tages liegt der See eisfrei vor mir. Ich blättere Großmutters Tagebücher durch. Als nach Großvaters Tod das Trauerjahr vorbei ist, werden die Tagebücher immer weniger emotional; das heißt mit Ausnahme der Zeit zehn Jahre später, als Vater krank wurde und starb. Gegen Ende sind es nur noch einzelne, alltägliche Betrachtungen über den Wind und das Wetter, über die Leute, mit denen sie sich unterhalten hat, über das Haus und die Gartenarbeit. Es ist ein gleichmäßiger Strom trockener Informationen, die vollkommen wertlos erscheinen. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, als würde sie mir gerade durch diese mageren Notizen nahe kommen.
    Sowohl sie wie auch Großvater kommen mir näher. Ihr Leben steigt aus Großmutters zierlicher Handschrift auf.
    In dem letzten Sommer seines Lebens bekam Großvater einen Sommerjob. Eigentlich war er ja pensioniert, aber dann wurde ihm ein freier Fahrerposten bei City Train angeboten, diesem kleinen weißen Touristenbähnchen, das kreuz und quer durchs Zentrum von Kristiansand fährt. Vom Marktplatz mit der Domkirche durch die Kongens gate, am alten St . Josephs Hospital, in dem ich geboren wurde, und am Aladdin-Kino vorbei, nach links zum Theater, die Strandpromenade entlang; Sehenswürdigkeiten wie König Christians kreisrunde Festung werden gestreift, bevor das Bähnchen wieder in Richtung Kirchplatz biegt. Man suchte einen erfahrenen Fahrer. Und das war Großvater. Er war ja schon lange vor dem Krieg Auto gefahren. Er hatte einen Nash Ambassador, und mit ihm war er sogar bis nach Oslo und zurück gefahren.
    Er bewarb sich und erhielt die Stelle. Großmutter hält die Neuigkeit im Mai 1987 fest. Ich hörte es von Vater, der es mir mit einem kleinen Lächeln erzählte. Ich wusste nicht recht, ob ich stolz sein oder mich schämen sollte. Wer hatte schon einen Großvater, der City Train fuhr? Andererseits gab es nur wenige, die einen Großvater in einer schneeweißen Uniform und einer großen weißen Chauffeursmütze hatten. Ich war stolz und schämte mich zugleich. Die Gefühle ließen sich nicht trennen, am Ende gehörten sie zusammen oder klammerten sich aneinander.
    Großvaters Bild erschien auf einer Postkarte von Kristiansand. Er stand in seiner weißen stattlichen Uniform neben dem City Train. Im Hintergrund thronte die Domkirche, vor den Ständen auf dem Platz ein Meer von Blumen und Gemüse, dahinter das Dach des Tinghuset, vor dem er einige Monate später zusammenbrach und starb. Ich habe diese Karte in Kaddebergs Laden in dem kleinen Ständer gesehen, der neben der Kasse stand und leise quietschte, wenn man ihn drehte. Es gab einen ganzen Stapel davon, sie steckten zusammen mit ähnlichen Postkarten, auf denen Bilder von Elchen und Trollen zu sehen waren oder idyllische kleine Orte mit Waldarbeitern, die zur Arbeit ziehen. Die Karten mit Großvater gab es auch noch zu kaufen, als er schon tot war. Ich erinnere mich gut daran, denn da hatten Stolz und Scham aufgehört, miteinander zu kämpfen, und in mir gab es nur ein leises Licht, das schmerzte. Der City Train kurvte auch im folgenden Sommer durch die Innenstadt, nun aber mit einem anderen Fahrer in Großvaters weißer Uniform. Der Fahrer war ein anderer, aber auf der Postkarte fuhr noch immer Großvater. Ich glaube, noch mehrere Jahre. Jedes Mal, wenn ich in Kaddebergs Laden kam, standen die Postkarten dort, wie eine ständige Erinnerung, dass er fort war. Ich wollte, sie wären verschwunden, ich wünschte, irgendjemand würde eine nach der anderen kaufen, einen Gruß darauf schreiben und sie verschicken. Aber niemand tat es. Niemand wollte sie haben. Die Postkarten steckten dort, Großvater sah noch immer gesund und kräftig aus, der Zug weiß und schimmernd. Einmal beschloss ich, alle Karten selbst zu kaufen. Ich musste mir meine Sparbüchse nicht in der Bank im Herrenhaus aufschneiden lassen, ich konnte es selbst tun und das Geld bei Kaddeberg auf den Tresen legen. Das Problem war nur, dass ich niemanden hatte, dem ich die Karten hätte schicken können. Meinen Freunden konnte ich auch nicht schreiben, es wäre zu merkwürdig gewesen, niemand versendet ohne Weiteres Postkarten, außerdem wohnten wir ja nah beieinander. Ich hätte sie nur an Menschen schicken können, die ich nicht kannte. Ich hätte das Telefonbuch aufschlagen und einen Namen finden können, der mir

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