Bevor ich verbrenne
dem aus man eine großartige Aussicht über das Wasser und die dunkelblaue Heide im Westen hatte. Es war das Haus von Knut und Aslaug Karlsen. Alma spürte, wie ein Schwindelgefühl sie überkam. Sie steckte die Karte in ihre Tasche, zog sie dann aber wieder heraus und stieg aus. Einen Augenblick standen sie in der warmen Sonne und warfen lange, magere Schatten. Ingemann zog einen Kamm aus der hinteren Hosentasche und fuhr sich damit ein paar Mal durch die Haare, von der Stirn bis in den Nacken. Sie tat so, als würde sie sich das Haar richten, bürstete sich ein paar Fusseln vom Mantel und schaute noch einmal in die Tasche, ob die Karte darin steckte. Doch dort steckte sie nicht, sie hielt sie ja in der Hand. Dann gingen sie gemeinsam auf die Tür zu. Ingemann beugte sich vor und klopfte dreimal. Sie warteten; seit sie von zu Hause losgefahren waren, hatte keiner der beiden ein Wort gesagt. Nun sagte Alma: »Ich schaffe es nicht. Ich schaffe es nicht.«
Sie hörten Schritte im Haus, eine undeutliche Gestalt ließ sich hinter dem geriffelten Glas erkennen, die Tür ging auf. Es war Johanna. Sie hatte sich das Gesicht gewaschen, die Augenbrauen zeigten noch Spuren der gewaltigen Hitze. Sie hatte ihre Zähne nicht im Mund und schaute erst Ingemann an, dann Alma. Das Gesicht leuchtete seltsam auf, als sie die beiden erkannte, als ob das Alter und die Sorgen für einen Moment verschwunden wären, einfach so. Es war beinahe eine Art Lächeln.
Sie sagte: »Gut, dass ihr gekommen seid.«
Dann hielt sie die Tür weit auf. Im Flur wartete Olav. Sie gingen hinein. Alma zuerst, dann Ingemann. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich. Dann herrschte, abgesehen von den Vögeln, Ruhe.
Niemand weiß, worüber die vier sich unterhielten.
7.
I
E r erwies sich als schwierig. Das sprach aus allen Briefen, die er an die Menschen in Finsland schrieb. Er bezeichnete sich selbst als schwierig.
Es war Dag.
Dann war es Der Junge .
Und danach ich .
Der Junge , so nannte Ingemann ihn normalerweise.
Vielleicht hatte Der Junge gezündelt, und dann kam Dag und löschte? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es ja auch umgekehrt, vielleicht hatte Der Junge gelöscht? Aber wer war dann ich ?
In der ersten Zeit strömten die Briefe nur so aus dem Gefängnis. Vor allem schrieb er denen, deren Häuser er angesteckt hatte. Er schrieb an Olav und Johanna Vatneli. Er schrieb an Kasper Kristiansen. Er schrieb an Bjarne Sløgedal. Er schrieb an Anders und Agnes Fjeldsgård.
Aber auch an andere. An Teresa. An Alfred. Und weitere. Es war nicht möglich, sich einen Überblick zu verschaffen. Die meisten warfen die Briefe weg, nachdem sie sie gelesen hatten. Wie etwas Dreckiges, etwas Infiziertes, das man nicht im Haus haben wollte. Man wollte sie loswerden. Häufig klangen die Briefe ausgesprochen unzusammenhängend. Unzusammenhängend, aber dennoch, in gewisser Weise, wohlformuliert. Als ich Kasper fragte, was in seinem Brief stand, musste er nachdenken.
Ja. Was hat er mir eigentlich geschrieben?
Hin und wieder Betrachtungen über Gott, über die wahrhaft Gläubigen und die Gottlosen. Unter den Gottlosen sah er sich auch selbst. Die Tage vergingen, und er saß mitten im Herzen Kristiansands im obersten Stock des Tinghuset und schrieb.
Am 9 . Juni wachte der Junge aus dem Motorradunfall in Kilen auf der Intensivabteilung des Krankenhauses auf. Es geschah am Abend. Plötzlich schlug er die Augen auf. Er hatte überlebt, doch ein wenig Hirnsubstanz war ihm aus dem Ohr geflossen, er war ein anderer geworden.
Die Wochen vergingen. Am 25 . Juni wurde Argentinien Fußballweltmeister nach Verlängerung in einem überfüllten Mar del Plata. Er bekam es nicht mit. Er war woanders. Von seinem Fenster aus konnte er das Meer und die Flugzeuge sehen, die in geringer Höhe die Stadt überflogen. Er konnte direkt auf die Spitze und die leuchtende Uhrscheibe des Domkirchturms blicken, und er konnte auf den Marktplatz und den Eingang zur Bar Møllepuben sehen. Er wusste, dass an Samstagabenden auch Leute aus Finsland dorthin gingen, und wenn er einige Gäste vor dem Eingang rauchen und lachen sah, öffnete er das Fenster einen Spalt und rief ihnen etwas zu.
Nach einigen Monaten versiegte der Strom der Briefe allmählich. Schließlich kamen überhaupt keine Briefe mehr. Nichts mehr. Am Ende konnten die Menschen nachts aufwachen und plötzlich glauben, alles sei lediglich ein Traum gewesen.
Es wurde Herbst. Die Brandstätten sahen aus wie schwarze Wunden,
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