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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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wie ihr das eigene heftige Verlangen, Ruby Falls weit hinter sich zu lassen, bewusst wurde. Sie drängte es zurück und schluckte es hinunter.
    Dann warf sie sich ein Stück Apfel in den Mund und sah zu, wie ihre Mutter durch die Küche tanzte. Mona Jones erinnerte Oneida beim Kochen an eine Tänzerin im Ballsaal: Bei ihr wirkte alles so mühelos und elegant, als wäre sie dazu geboren. Ihre Pastetenkrusten waren blättrige, butterreiche Teigwolken; ihre hausgemachten Nudeln waren gehaltvoll und dennoch auf wunderbare Weise leicht; ihre Hochzeitskuchen waren Kunstwerke der Zuckerbäckerarchitektur, aufgebaut auf Karotten, Frischkäse, Zitrone und Schokolade – zarte Inseln essbaren Einfallsreichtums, der Oneidas erste Tagträume von Märchenschlössern, Fantasiereichen und Zauberwäldern geprägt hatte.
    Oneida wusste, dass ihre Mutter ihr eigenes Restaurant in New York hätte eröffnen können, sich ein Reich aus Büchern und Kochutensilien hätte erschaffen können, mit ihrer Unterschrift auf einer Produktlinie von rostfreiem Kochgeschirr, Schürzen und Pfannenhebern, die jeder Hitze trotzten. Aber Mona lebte in der Versenkung von Ruby Falls, ohne gewürdigt zu werden, und die Wunder ihrer Gastronomie wurden an die Bäuche von ehemaligen Hippies und einsamen alten Damen vergeudet, die von Sozialhilfe lebten und sich nichts Aufregenderes zu essen wünschten, als Schmortopf am Montag, Hühnchen am Dienstag, Nudelauflauf am Mittwoch und Hackbraten am Donnerstag. Auch an ihren eigenen Bauch vergeudet, überlegte Oneida und fasste sich an ihren grummelnden Magen.
    Mona wirbelte zwischen dem Tisch und dem Herd hin und her, sah nach dem Hackbraten, schwenkte die Karotten und schichtete die Fruchtpastete mit einer einzigen fließenden Bewegung, wobei sich ein paar Löckchen aus dem Pferdeschwanz lösten und beim Herumwirbeln durch die Luft flogen. Mona hatte im vergangenen Frühjahr ihren einunddreißigsten Geburtstag gefeiert, aber sie kam selbst ihrer Tochter jünger vor: Sie trug noch immer Pferdeschwanz, T-Shirts in leuchtend bunten Farben, Jeans und Flip-Flops. Oneida konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie sie mit einem Übungsbuch in der Hand durch die Ruby Falls High schlenderte – die sich, wie Mona meinte, seit ihrer Zeit dort kein bisschen verändert hatte – und dabei einen alten Grunge-Klassiker summte. Sie war hübsch, mit hellem Teint und dunklen Haaren und würde auf jeden Fall zu den Beliebten in der Klasse gehören – wäre aber dennoch nett zu Oneida: Sie würde sie in der Aula anlächeln, ihr im Turnsaal den Basketball zuwerfen und über das Mensaessen meckern, während sie mit ihr in der Schlange stand. Den ganz normalen Umgang unter Teenagern eben, von dem Oneida sich ausgeschlossen fühlte, weil sie ihn gar nicht verstand, den sie aber dank ihrer Mutter bestimmt lieben lernte. Mona wäre ihre Freundin gewesen, das wusste sie – und sie ertappte sich absurderweise bei dem Wunsch, in der Zeit zurückgehen zu können und tatsächlich eine Freundin ihrer Mutter zu sein. Eine Freundin, die Mona immer wieder ins Gewissen geredet hätte, Du bist es dir selbst schuldig, aus dieser blöden Stadt rauszukommen, du bist ein Genie, hau ab, hau ab! Eine Freundin, an die ihre Mutter sich wenden würde, wenn sie ein Problem hatte. Eine Freundin, die ihr raten würde – ja was?
    Gib es weg?
    Mach es weg?
    Sie erschauderte unwillkürlich, ein Zusammenziehen von Bauch und Rücken, das nichts zu tun hatte mit der kühlen Brise, die die weißen Küchenvorhänge blähte. Vielleicht war das der Kern ihres wahren Freakseins, das, was die Welt im Allgemeinen in ihr sah: Ihr Dasein war nicht vorgesehen gewesen. Es nützte nichts, wie sehr Mona sie liebte. Ihre Mutter hatte die falsche Entscheidung getroffen.
    Sie deckte den Tisch und versuchte diese spezielle Wahrheit über sich selbst zu vergessen.
    Bis Anna und Sherman Platz genommen hatten, war Oneida ruhiger geworden. Sie war ein wenig in Sorge, es könnte ihr wieder einfallen und sie ganz vom Essen abhalten, aber das Eintreffen von Arthur Rook, der ein wenig zerzaust aussah und eigentlich nicht den Eindruck machte, als hätte er genau in diesem Moment hereinkommen wollen, war mehr als eine Ablenkung. Es war erst ein paar Tage her, seit er sie um Waschmittel gebeten hatte, und sie war überrascht, wie sehr er sich von dem Arthur Rook unterschied, den sie sich in ihrem Kopf zusammengesetzt hatte, der Arthur Rook, der seltsam mythische Dimensionen angenommen

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