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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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gingen sie bis zur Brücke, stiegen den dunklen Aufgang hinauf, wo, in roten Sandstein eingekratzt, die Sehnsüchte vom Bade heimkehrender Jugendlicher verewigt waren; ein dröhnender Güterzug, der über die Brücke rollte, enthob sie für weitere Minuten der Notwendigkeit zu sprechen, schlackiger Abfall wurde ans westliche Ufer gebracht; Rangierlichter wurden geschwenkt, Trillerpfeifen dirigierten den Zug, der sich rückwärts ins rechte Gleis schob, unten im Nebel glitten die Schiffe nordwärts, klagende Hörner warnten vor Todesgefahr, röhrten sehnsüchtig übers Wasser hin; Lärm, der zum Glück das Sprechen unmöglich machte.
    »Und ich blieb stehen, Hugo, lehnte mich übers Geländer, dem Fluß zugewandt, zog Zigaretten aus der Tasche, bot Schrella an, der gab Feuer, und wir rauchten schweigend, während hinter uns der Zug rumpelnd die Brücke verließ; unter uns schoben sich leise die Kähne eines Lastzuges nordwärts, unter der Nebeldecke war ihr sanftes Gleiten zu hören; sichtbar wurden nur hin und wieder ein paar Funken, die aus dem Kamin einer Schifferküche stiegen; minutenlang blieb's still, bis der nächste Kahn sich leise unter die Brücke schob, nordwärts, nordwärts, den Nebeln der Nordsee zu - und ich hatte Angst, Hugo, weil ich ihn jetzt würde fragen müssen, und wenn ich die Frage aussprach, war ich drin, mittendrin und würde nie mehr herauskommen; es mußte ein schreckliches Geheimnis sein, um dessentwillen Nettlinger den Sieg aufs Spiel gesetzt und die Ottoner Ben Wackes als Schiedsrichter hingenommen hatten; fast vollkommen war die Stille jetzt, gab der fälligen Frage ein großes Gewicht, bürdete sie der Ewigkeit auf, und ich nahm schon Abschied, Hugo, obwohl ich noch nicht wußte, wohin und für was, nahm Abschied von dem dunklen Turm von Sankt Severin, der aus der flachen Nebelschicht herausragte, vom Elternhaus, das nicht weit von diesem Turm entfernt lag, wo meine Mutter gerade die letzte Hand an den Abendbrottisch legte, silbernes Besteck zurechtrückte, mit vorsichtigen Händen Blumen in kleine Vasen ordnete, den Wein kostete: war der weiße kühl genug, der rote nicht zu kühl? Samstag, mit sabbatischer Feierlichkeit begangen, schlug sie das Meßbuch schon auf, aus dem sie uns die Sonntagsliturgie erklären würde mit ihrer sanften Stimme, die nach ewigem Advent klang; Weide- meine-Lämmer-Stimme; mein Zimmer hinten zum Garten raus, wo die uralten Bäume in vollem Grün standen; wo ich mich leidenschaftlich in mathematische Formeln vertiefte, in die strengen Kurven geometrischer Figuren, in das winterlich klare Geäst sphärischer Linien, die meinem Zirkel, meiner Tuschefeder entsprungen waren - dort zeichnete ich Kirchen, die
    ich bauen würde. Schrella schnippte den Zigarettenstummel in die Nebelschicht hinunter, in leichten Wirbeln schraubte sich die rote Glut nach unten; Schrella wandte sich mir lächelnd zu, erwartete die Frage, die ich immer noch nicht stellte, schüttelte den Kopf.
    Scharf zeichnete sich die Kette der Lampen über der Nebelschicht am Ufer ab.
    ›Komm‹, sagte Schrella, ›dort sind sie, hörst du sie nicht?‹ Ich hörte sie, der Gehsteig bebte schon unter ihren Schritten, sie sprachen von Ferienorten, in die sie bald abreisen würden: Allgäu, Westerwald, Badgastein, Nordsee, sprachen von dem Ball, den Robert schlug. Im Gehen war meine Frage leichter zu stellen.
    ›Warum‹, fragte ich, ›warum? Bist du Jude?‹
    ›Nein.‹
    ›Was bist du denn?‹
    ›Wir sind Lämmer‹, sagte Schrella, ›haben geschworen, nie vom Sakrament des Büffels zu essen.‹
    ›Lämmer.‹ Ich hatte Angst vor dem Wort. ›Eine Sekte?‹ fragte ich.
    ›Vielleicht.‹
    ›Keine Partei?‹
    ›Nein.‹
    ›Ich werde nicht können‹, sagte ich, ›ich kann nicht Lamm sein.‹
    ›Willst du vom Sakrament des Büffels kosten?‹
    ›Nein‹, sagte ic h.
    ›Hirten‹, sagte er, ›es gibt welche, die die Herde nicht verlassen.‹
    ›Schnell‹, sagte ich, ›schnell, sie sind schon ganz nah.‹
    Wir stiegen den dunklen Aufgang an der Westseite hinunter, und ich zögerte noch einen Augenblick, als wir die Straße erreichten; mein Heimweg führte nach rechts, Schrellas Weg nach links, aber dann folgte ich ihm nach links, wo der Weg sich zwischen Holzlagern, Kohlenschuppen und Schrebergärten stadtwärts wand. Wir blieben hinter der ersten Wegbiegung stehen, nun tief in der flachen Nebelschicht drin, beobachteten die Schatten der Schulkameraden, die oberhalb des

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