Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
öffnend, die die Meisterin ihnen gegeben, an Schafsdung, wie an köstlichen Aromen schnuppernd, dann räusperte sie sich in bestimmten Abständen, und ihre Jungmädchenstimme fragte von der Couch herunter: ›Wie werden wir die Welt erlösen?‹ Und die Jünger und Jüngerinnen antworteten: ›Durch Schafswolle, Schafsleder, Schafsmilch - und durch Stricken.‹ Nadelgeklapper, Stille, ein Jüngling sprang zur Bartheke, holte der Meisterin frisches Wasser, und wieder warf die sanfte Jungmädchenstimme von der Couch herab die Frage: ›Wo liegt
    die Seligkeit der Welt verborgen?‹, und alle antworteten: ›Im Schaf.‹ Schachteln wurden geöffnet, verzückt am Kot geschnüffelt, während Blitzlichter knallten, Pressebleistifte über Stenogrammblöcke huschten.
    Langsam trat Hugo weiter zurück, während sie um die Säule herum aufs Frühstückszimmer zuging; er hatte Angst vor ihr, hatte zu oft gesehen, wie ihre sanften Augen hart wurden, wenn sie mit ihm allein war, ihn auf der Treppe erwischte, sich von ihm Milch ins Zimmer bringen ließ, wo er sie mit der Zigarette im Mund antraf, sie ihm das Milchglas aus der Hand riß, es lachend in den Abfluß entleerte, sich einen Cognac einschenkte, mit dem Glas in der Hand auf ihn, der langsam zur Tür zurückwich, zukam. ›Hat dir noch niemand gesagt, daß dein Gesicht Gold wert ist, pures Gold, du dummer Junge. Warum willst du nicht das Gotteslamm meiner neuen Religion sein? Ich werde dich groß machen, reich, und sie werden in noch schickeren Hotelhallen vor dir knien! Bist du noch nicht lange genug hier, um zu wissen, daß ihre Langeweile nur mit einer neuen Religion auszufüllen ist, eine, die je dümmer, desto besser ist - geh nur, du bist zu dumm.‹
    Er blickte ihr nach, während sie mit unbewegtem Gesicht sich vom Kellner die Tür zum Frühstückszimmer aufhalten ließ; sein Herz klopfte noch, als er hinter der Säule hervorkam und langsam ins Restaurant hinunterging.
    »Einen Cognac für den Doktor oben, einen großen.«
    »Stunk in der Bude wegen deinem Doktor.«
    »Wieso Stunk?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, der wird dringend gesucht, dein Doktor. Da, dein Cognac, und verdrück dich schnell, mindestens siebzehn alte und junge Weiber fahnden nach dir; rasch, da kommt wieder eine die Treppe herunter.«
    Sie sah aus, als hätte sie zum Frühstück pure Galle getrunken, in goldfarbene Kleider gekleidet, mit goldfarbenen Schuhen,
    Mütze und Muff aus Löwenfell. Ekel breitete sich aus, sobald sie erschien, und es gab Abergläubische unter den Gästen, die ihr Gesicht bedeckten, wenn sie auftrat. Zimmermädchen kündigten ihretwegen, Kellner verweigerten die Bedienung, aber er, er mußte, sobald sie ihn erwischte, stundenlang mit ihr Canasta spielen; ihre Finger wie Hühnerkrallen, einzig menschlich an ihr war die Zigarette in ihrem Mund. ›Liebe, mein Junge, nie gewußt, was das ist; nicht einer, der mich nicht merken läßt, daß er sich vor mir ekelt; meine Mutter verfluchte mich siebenmal am Tage, schrie mir ihren Ekel ins Gesicht; hübsch war meine Mutter und jung, jung und hübsch war mein Vater, waren meine Geschwister; sie hätten mich vergiftet, wenn sie den Mut nur aufgebracht hätten; sie nannten mich: so was dürfte nicht geboren werden - hoch oben wohnten wir in der gelben Villa über dem Stahlwerk, abends verließen tausende Arbeiter das Werk, wurden von lachenden Mädchen und Frauen erwartet, lachend gingen sie die dreckige Straße hinunter; ich kann sehen, hören, fühlen, riechen wie alle anderen Menschen, kann schreiben, lesen, rechnen und schmecken - du bist der erste Mensch, der es länger als eine halbe Stunde bei mir aushält, hörst du, der erste!‹
    Sie schleppte Entsetzen hinter sich her, Atem des Unheils, warf ihren Zimmerschlüssel auf die Theke, schrie dem Boy, der dort Jochen vertrat, ins Gesicht: ›Hugo, wo ist er, Hugo?‹, ging, als der Boy die Schultern zuckte, zur Drehtür, und der Kellner, der die Tür in Gang setzte, schlug die Augen nieder, und sobald sie draußen war, zog sie den Schleier vors Gesicht.
    ›Drinnen trag ich ihn nicht, Junge, die sollen etwas sehen für ihr Geld, sollen mir ins Gesicht schauen für mein Geld, aber die da draußen, die haben es nicht verdient.‹
    »Hier, der Cognac, Herr Doktor.«
    »Danke, Hugo.«
    Er mochte Fähmel: der kam jeden Morgen um halb zehn, erlöste ihn bis elf, hatte ihm schon ein Gefühl der Ewigkeit verliehen; war es nicht immer so gewesen, hatte er nicht vor Jahrhunderten schon

Weitere Kostenlose Bücher