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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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quälte mich im Traum - korrekt war ich immer -, ich riß einem mageren Huhn den grüngrauen Band Ovid aus dem Schnabel; ich feilschte mit der Platzanweiserin im Kino um das Hölderlingedicht, das sie aus meinem Lesebuch gerissen hatte, weil sie es so schön fand: Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest.
    Abendessen, von Frau Trischler gebracht: Milch, ein Ei, Brot, ein Apfel; ihre Hände wurden jung, wenn sie meinen zerschundenen Rücken mit Wein wusch, Schmerz flammte auf, wenn sie den Schwamm ausdrückte und der Wein in den Furchen meines Rückens abfloß; sie goß Öl nach, und ich fragte sie: ›Woher wußten Sie, daß man es so machen kann?‹
    ›In der Bibel kannst du nachlesen, wie man es macht‹, sagte sie, ›und ich hab's schon mal gemacht, bei deinem Freund
    Schrella! Alois wird übermorgen kommen, Sonntag fährt er dann von Ruhrort nach Rotterdam! Du brauchst keine Angst zu haben‹, sagte sie, ›die machen das schon; auf dem Fluß kennt man sich, wie man sich in einer Straße kennt. Noch etwas Milch, Junge?‹
    ›Nein, danke.‹
    ›Keine Sorge. Montag oder Dienstag bist du in Rotterdam. Was ist denn, was hast du denn?‹
    Nichts. Nichts. Immer noch liefen die Suchmeldungen: rote Narbe überm Nasenbein. Vater, Mutter, Ed ith - ich wollte nicht das Differential der Zärtlichkeiten errechnen, nicht die Litanei der Schmerzen abbeten; heiter war der Fluß, weiße Feriendampfer mit bunten Wimpeln; heiter waren auch die Frachter, rot gestrichen, grün und blau, brachten Kohle und Ho lz von hier nach dort, von dort nach hier; drüben am Ufer die grüne Allee, schneeweiß die Terrasse vom Cafe Bellevue, dahinter der Turm von Sankt Severin, die scharfe rote Lichtkante am Hotel Prinz Heinrich, nur hundert Schritte von dort bis zum Elternhaus ; dort saßen sie gerade beim Abendessen, einer gewaltigen Mahlzeit, über die Vater wie ein Patriarch regierte: Samstag, mit sabbatischer Feierlichkeit begangen; war der rote Wein nicht zu kühl, der weiße kühl genug?
    ›Keine Milch mehr, Junge?‹
    ›Nein, danke, Frau Trischler, wirklich nicht.‹
    Motorisierte Boten rasten durch die Stadt, mit rotumrandeten Zetteln, von Plakatsäule zu Plakatsäule: ›Hinrichtung!‹ ›Der Schüler Robert Fähmel...‹; Vater betete beim Abendbrot: Der für uns ist gegeißelt worden, Mutter beschrieb eine demütige Figur vor ihrer Brust, bevor sie sagte: ›Die Welt ist böse, es gibt so wenig reine Herzen‹, und Ottos Schuhe, noch schlugen sie den Takt Bruder, Bruder auf den Boden, auf die Fliesen, die Straße hinab bis zum Modesttor. Es war die ›Stilte‹, die draußen tutete, die hellen Töne rissen den Abendhimmel auf, furchten sich weiß
    wie Blitze ins dunkle Blau. Ich lag schon auf der Zeltbahn, wie jemand, der auf offener See gestorben ist und dem Meer überliefert werden soll; Alois hielt die Zeltbahn schon hoch, um mich einzuwickeln; weiß in grau eingewebt las ich deutlich:
    ›Morrien. Ijmuiden.‹ Frau Trischler beugte sich über mich,
    weinte, küßte mich, und Alois rollte mich langsam ein, als wäre mein Leichnam ein besonders kostbarer, nahm mich auf den Arm. ›Söhnchen‹, rief der Alte, ›Söhnchen, vergiß uns nicht.‹ Abendwind, noch einmal tutete die ›Stilte‹ freundlich mahnend, in der Hürde blökten die Schafe, der Eismann rief ›Eis, Eis‹, schwieg dann und spachtelte gewiß Vanilleeis in bröcklige Waffeln. Leicht federte die Planke, über die Alois mich trug, und eine Stimme fragte leise: ›Ist er das?‹ Und Alois sagte ebenso leise: ›Das ist er.‹ Murmelte mir zum Abschied zu:
    ›Denk daran, Dienstag abend im Hafen von Rotterdam.‹ Andere
    Arme trugen mich, Treppen hinunter, es roch nach Öl, nach Kohlen, dann nach Holz, fern klang das Tuten, die ›Stilte‹ bebte, dunkles Dröhnen schwoll an, und ich spürte, daß wir fuhren, rheinabwärts, immer weiter weg von Sankt Severin.«
    Der Schatten von Sankt Severin war näher gerückt, füllte schon das linke Fenster des Billardzimmers, streifte das rechte; die Zeit, von der Sonne vor sich hergeschoben, kam wie eine Drohung näher, füllte die große Uhr auf, die sich bald erbrechen und die schrecklichen Schläge von sich geben würde; weiß über grün, rot über grün rollten die Kugeln; Jahre zerschnitten, Jahrzehnte übereinander gehäuft und Sekunden, Sekunden wie Ewigkeiten serviert mit ruhiger Stimme; nur jetzt nicht wieder Cognac holen müssen, dem Kalenderblatt begegnen und der Uhr, nicht der Schafspriesterin und

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