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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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    ›Hast du geklaut?‹
    ›Nein‹, sagte ich, ›ich habe mich nur geweigert, vom Sakrament des Büffels zu essen.‹
    Schiffe, dachte ich, Schiffe mit dunklen Bäuche n und Kapitänen, die Übung darin haben, die Zöllner zu täuschen; ich werde nicht viel Platz brauchen, nur soviel wie ein zusammengerollter Teppich; in einem gerollten Segel versteckt will ich die Grenze passieren.
    ›Komm runter‹, sagte Trischler, ›da oben können sie dich vom anderen Ufer aus sehen.‹
    Ich drehte mich, ließ mich langsam auf Trischler zugleiten, indem ich mich an den Grasnarben festhielt.
    ›Ach‹, sagte der Alte, ›du bist... ich weiß, wer du bist, aber deinen Namen hab ich vergessen.‹
    ›Fähmel‹, sagte ich.
    ›Natürlich, hinter dir sind sie her, es kam heute morgen mit den Frühnachrichten, und ich hätte es mir denken können, als sie dich beschrieben: rote Narbe überm Nasenbein; damals, als wir bei Hochwasser rübergerudert sind und gegen den Brückenpfeiler stießen, als ich die Strömung unterschätzt hatte; du schlugst mit dem Kopf auf die Eisenkante des Bootes.‹
    ›Ja, und ich durfte nicht mehr herkommen.‹
    ›Aber du kamst noch.‹
    ›Nicht mehr lange - bis ich mit Alois Streit bekam.‹
    ›Komm, aber duck dich, wenn wir unter der Drehbrücke hergehen, sonst stößt du dir 'ne Delle in den Kopf - und darfst nicht mehr herkommen. Wie bist du ihnen denn entkommen?‹
    ›Nettlinger kam im Morgengrauen in meine Zelle, er brachte mich an den Hintereingang, wo die unterirdischen Gänge bis zum Bahndamm führen, an der Wilhelmskuhle. Er sagte: ,Hau ab, renn los - aber ich kann dir nur eine Stunde Vorsprung geben, in einer Stunde muß ich's der Polizei melden' - ich bin um die ganze Stadt herum bis hierhergekommen.‹
    ›So, so‹, sagte der Alte, ›ihr mußtet also Bomben schmeißen! Ihr mußtet euch verschwören und - gestern hab ich schon einen von euch verpackt und über die Grenze geschickt.‹
    ›Gestern‹, fragte ich, ›wen?‹
    ›Den Schrella‹, sagte er, ›er hat sich hier versteckt, und ich habe ihn zwingen müssen, mit der ,Anna Katharina' abzufahren.‹
    ›Auf der ,Anna Katharina' wollte Alois immer Steuermann werden!‹
    ›Er ist Steuermann auf der ,Anna Katharina' - komm jetzt.‹
    Ich stolperte, als wir an der schrägen Kaimauer entlang unterhalb der Böschung auf Trischlers Haus zugingen, stand auf, fiel wieder, stand auf, und die ruckhaften Bewegungen rissen Hemd und Haut immer wieder auseinander, verklebten sie, rissen sie auseinander, und der ständig neu gestachelte Schmerz hob mich in einen Zustand der Besinnungslosigkeit, in dem Bewegungen, Farben, Gerüche aus tausend Erinnerungen sich ineinander verfingen, übereinander lagerten; bunte Chiffren von wechselnder Farbe, wechselndem Gefälle, wechselnder Richtung, wurden vom Schmerz aus mir herausgeschleudert.
    Hochwasser, dachte ich, Hochwasser, immer schon hatte ich den Wunsch gespürt, mich hineinzuwerfen und auf den grauen Horizont zutreiben zu lassen.
    Im Traum beschäftigte mich lange die Frage, ob man in einem Henkelmann eine Stacheldrahtpeitsche verbergen könne; Erinnerungen an Bewegungen setzten sich in Linien um, die sich zu Figuren fügten; grüne, schwarze, rote Figuren waren wie
    Kardiogramme, die Rhythmen einer bestimmten Person
    darstellten: der Ruck, mit dem Alois Trischler die Angel hochgezogen hatte, wenn wir im alten Hafen fischten, wie er die Schnur mit dem Köder ins Wasser schnellte, sein wandernder Arm, der das Tempo des Wassers anzeigte: grün auf grau gezeichnete genaue Figur; Nettlinger, wie er den Arm hob, um Schrella den Ball ins Gesicht zu werfen, das Zittern seiner Lippen, das Beben seiner Nasenflügel, es setzte sich in eine graue Figur, die der Spur einer Spinne glich; wie von Fernschreibern, die ich nicht orten konnte, wurden mir Personen ins Gedächtnis stigmatisiert: Edith am Abend nach dem Schlagballspiel, als ich mit Schrella nach Hause ging; Ediths Gesicht im Park draußen in Blessenfeld, unter mir; als wir im Gras lagen, wurde es naß vom Sommerregen, Tropfen glänzten auf ihrem blonden Haar, rollten an ihren Brauen entlang, ein Kranz silberne r Tropfen, den Ediths atmendes Gesicht hob und senkte: der Kranz blieb mir in Erinnerung wie das Skelett eines Meerestieres, auf rostfarbenem Strand gefunden und vervielfältigt zu unzähligen Wölkchen gleichen Ausmaßes, die Linie ihres Mundes, als sie zu mir sagte: ›Sie werden dich töten.‹ Edith.
    Der Verlust der Schulmappe

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