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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Eis zerkleinerten und über die Bierkästen warfen.
    Jetzt, sieben Jahre später, Hugo, an diesem 21. Juli 1935 war die Farbe von allen Zäunen abgeblättert, und ich sah, daß an Michaelis' Kohlenlager nur das Tor erneuert war; hinter dem Zaun verrottete ein großer Haufen Briketts, ich suchte immer wieder alle Windungen der Straße ab, um mich zu vergewissern, daß niemand mir gefolgt war; ich war müde, spürte die Wunden auf meinem Rücken, Schmerz flammte wie Pulsschlag auf; zehn Minuten lang war die Straße leer geblieben; ich blickte auf den schmalen Streifen bewegten sauberen Wassers, der den unteren mit dem oberen Hafen verband: kein Boot war zu sehen, blickte in den Himmel: kein Flugzeug, und ich dachte: du scheinst dich sehr ernst zu nehmen, wenn du glaubst, sie schicken Flugzeuge aus, dich zu suchen.
    Ich hatte es getan, Hugo, war mit Schrella in das kleine Cafe Zons an der Boisseréestraße gegangen, wo die Lämmer sich trafen, hatte dem Wirt das Losungswort zugemurmelt: Weide meine Lämmer, und ich hatte geschworen, einem jungen Mädchen, das Edith hieß, ins Gesicht hinein geschworen, niemals vom Sakrament des Büffels zu kosten, hatte dann in dem dunklen Hinterzimmer eine Rede gehalten, mit dunklen Worten drin, die nicht nach Lamm klangen; sie schmeckten nach Blut, nach Aufruhr und Rache, Rache für Ferdi Progulske, den sie am Morgen hingerichtet hatten; wie Geköpfte sahen die aus, die um den Tisch herumsaßen und mir zuhörten; sie hatten Angst und wußten jetzt, daß kindlicher Ernst nicht weniger ernst ist als der der Erwachsenen; Angst und die Gewißheit, daß Ferdi wirklich tot war: siebzehn Jahre war er alt gewesen, Hundertmeterläufer, Tischlerlehrling, nur viermal hatte ich ihn
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    gesehen und würde ihn nie wieder in meinem Leben vergessen; zweimal im Cafe Zons und zweimal bei uns zu Hause; Ferdi war in Ben Wackes Wohnung geschlichen, hatte ihm, als er aus dem Schlafzimmer kam, die Bombe vor die Füße geworfen; nur Brandwunden hatte Ben Wackes an den Füßen, ein
    Garderobenspiegel zersplitterte, es roch nach verbranntem Schwarzpulver, Torheit, Hugo, kindlichem Edelmut
    entsprungen, hörst du, hörst du wirklich?...«
    »Ich höre.«
    »Ich hatte Hölderlin gelesen: Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest, und Ferdi nur Karl May, der den gleichen Edelmut zu predigen schien; Torheit, unterm Handbeil gebüßt, im Morgengrauen, während die Kirchenglocken zur Frühmesse läuteten, Bäckerjungen warme Brötchen in Leinenbeutel zählten, während hier im Hotel Prinz Heinrich den ersten Gästen das Frühstück serviert wurde, während Vögel zwitscherten, Milchmädchen auf Gummisohlen sich in stille Hauseingänge schlichen, um Milchflaschen auf saubere Kokosmatten zu stellen; motorisierte Boten rasten durch die Stadt, von Plakatsäule zu Plakatsäule, klebten rotumrandete Zettel an:
    ›Hinrichtung! Der Lehrling Ferdinand Progulske‹ - gelesen von Frühaufstehern und Straßenbahnern, von Schülern und Lehrern, von all denen, die morgens mit ihren Broten in der Tasche zur Straßenbahn eilten, die Lokalzeitung noch nicht aufgeschlagen hatten, die es in Gestalt einer Schlagzeile verkündete: ›Exempel statuiert‹, und von mir gelesen, von mir, Hugo, als ich gerade hier vorne an der Ecke in die 7 einsteigen wollte.
    Ferdis Stimme am Telefon, war das gestern oder vorgestern gewesen: ›Du kommst doch, wie verabredet, ins Cafe Zons?‹
    Pause. ›Kommst du oder kommst du nicht?‹ ›Ich komme.‹
    Enders versuchte noch, mich am Ärmel in die Bahn zu zerren, aber ich riß mich los, wartete, bis die Bahn um die Ecke herum verschwunden war, lief zur gegenüberliegenden Haltestelle, wo auch heute noch die 16 abfährt; fuhr durch friedliche Vorstädte
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    zum Rhein, vom Rhein wieder weg, bis die Bahn endlich zwischen Kiesgruben und Baracken in die Schleife der Endstation einbog. Winter müßte sein, dachte ich damals, Winter, kalt, regnerisch, bedeckter Himmel, dann wäre es erträglicher, aber hier, wo ich stundenlang zwischen Kleingärten umherirrte, Aprikosen und Erbsen sah, Tomaten und Kohl, wo ich das Klirren von Bierflaschen hörte, die Klingel des Eismannes, der an einer Wegkreuzung stand und Vanilleeis in bröcklige Waffeln spachtelte; das konnten sie doch nicht tun, dachte ich, konnten nicht Eis essen, Bier trinken, Aprikosen betasten, während Ferdi... Gegen Mittag verfütterte ich meine Brote an grämliche Hühner, die auf dem Lagerhof eines Altwarenhändlers ungenaue geometrische

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