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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ihn mitgemacht?«
    »Ja.«
    »Was haben Sie getan?«
    -70-

    »Ich war Spezialist für Sprengungen, Hugo. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?«
    »Ja, ich habe gesehen, wie sie im Steinbruch hinter Denklingen sprengten.«
    »Genau das hab ich gemacht, Hugo, nur habe ich nicht Felsen gesprengt, sondern Häuser und Kirchen. Das hab ich noch nie jemandem erzählt, außer meiner Frau, aber die ist schon lange tot, und so weiß es niemand außer dir, nicht einmal meine Eltern und meine Kinder wissen es. Du weißt, daß ich Architekt bin und eigentlich Häuser bauen sollte, aber ich hab nie welche gebaut, immer nur welche gesprengt, und auch die Kirchen, die ich als Junge auf zartes Zeichenpapier zeichnete, weil ich davon träumte, sie zu bauen; die hab ich nie gebaut. Als ich zur Armee kam, fanden sie in meinen Papieren einen Hinweis, daß ich eine Doktorarbeit über ein statisches Problem geschrieben hatte.
    Statik, Hugo, das ist die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte, die Lehre vom Spannungs- und Verschiebungszustand von Tragwerken; ohne Statik kannst du nicht einmal eine Negerhütte bauen, und das Gegenteil von Statik ist die Dynamik, das klingt nach Dynamit, wie man es beim Sprengen braucht, und hängt auch mit Dynamit zusammen. Den ganze n Krieg über hatte ich nur mit Dynamit zu tun. Ich verstand was von Statik, Hugo, verstand auch was von Dynamik, verstand eine ganze Menge von Dynamit, hab alle Bücher verschlungen, die es darüber gab.
    Man muß, wenn man sprengen will, nur wissen, wo man die Ladung anbringt und wie stark sie sein muß. Das konnte ich, Junge, und ich sprengte also, ich sprengte Brücken und Wohnblocks, Kirchen und Bahnüberführungen, Villen und Straßenkreuzungen, ich bekam Orden dafür und wurde befördert: vom Leutnant zum Oberle utnant, vom Oberleutnant zum Hauptmann, und ich bekam Sonderurlaub und
    Belobigungen, weil ich so gut wußte, wie man sprengen muß.
    Und am Schluß des Krieges war ich einem General unterstellt, der hatte nur ein Wort im Kopf: Schußfeld. Weißt du, was
    -71-

    Schußfeld ist? Nein?« Fähmel hob den Billardstock wie ein Schießgewehr an die Schulter, zielte mit der Spitze nach draußen, auf den Turm von Sankt Severin. »Siehst du«, sagte er,
    »wenn ich jetzt auf die Brücke schießen wollte, die hinter Sankt Severin liegt, würde die Kirche im Schußfeld liegen, also müßte Sankt Severin gesprengt werden, ganz rasch, sofort und schnell, damit ich auf die Brücke schießen könnte, und ich sag dir, Hugo, ich hätte Sankt Severin in die Luft gesprengt, obwohl ich wußte, daß mein General verrückt war, und obwohl ich wußte, daß Schußfeld ein leerer Wahn ist, denn von oben, verstehst du, brauchst du kein Schußfeld, und schließlich konnte es auch dem einfältigsten aller Generale nicht verborgen bleiben, daß inzwischen die Flugzeuge erfunden wo rden waren, aber meiner war verrückt und hatte seine Lektion gelernt: Schußfeld, und ich besorgte es ihm; ich hatte eine gute Mannschaft beisammen: Physiker und Architekten, und wir sprengten, was uns in den Weg kam; das letzte war was Großes, was Gewaltiges, ein ganzer Komplex riesiger, sehr solider Gebäude: eine Kirche, Stallungen, Mönchszellen, ein Verwaltungsgebäude, ein Bauernhof, eine ganze Abtei, Hugo - die lag genau zwischen zwei Armeen, einer deutschen und einer amerikanischen - , und ich besorgte der deutschen Armee ihr Schußfeld, das sie gar nicht brauchte; da knieten sich Mauern vor mir nieder, auf den Höfen brüllte das Vieh in den Ställen, und die Mönche verfluchten mich, aber ich war nicht aufzuhalten, die ganze Abtei Sankt Anton im Kissatal sprengte ich, drei Tage vor Kriegsschluß. Korrekt, Junge, immer korrekt, wie du mich kennst.«
    Er senkte den Stock, den er immer noch auf sein imaginäres Ziel gerichtet hielt, legte ihn wieder in die Fingerbeuge, stieß die Billardkugel an; weiß rollte sie über grün, schlug in wildem Zickzack vom schwarzen Rand zum schwarzen Rand.
    Dumpf erbrachen die Glocken von Sankt Severin die Zeit, aber wann, wann schlug es elf?
    -72-

    »Sieh doch mal nach, Junge, was der Lärm an der Tür bedeutet.«
    Noch einmal stieß er zu: rot über grün, ließ die Kugeln auslaufen, legte den Stock hin.
    »Der Herr Direktor bittet Sie, einen Herrn Dr. Nettlinger zu empfangen.«
    »Würdest du einen empfangen, der Nettlinger heißt?«
    »Nein.«
    »Zeig mir, wie ich hier herauskomme, ohne durch diese Tür zu müssen.«
    »Sie können durch den Speisesaal gehen, Herr

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