Billard um halbzehn
entworfen, geplant und gebaut; Kostenvoranschläge durchgeackert, mich durchgewühlt durch das spröde Deutsch der einzelnen Positionen - ›und sollen die Holzvertäfelungen in der Sakristei aus bestem, astreinem Nußbaumholz ausgeführt, die Beschläge aus bestem Material ausgewählt werden‹.
Ich weiß, daß ich lachte, als ich dort stand, und weiß bis heute noch nicht, worüber oder warum; eins weiß ich sicher: mein Lachen entsprang nicht reiner Freude; Spott war darin, Hohn, vielleicht Bosheit, aber nie habe ich gewußt, wieviel von jedem in diesem Lachen enthalten war; ich dachte an die harten Bänke, auf denen ich abends in Fortbildungskursen hockte; Rechnen gelernt; Mathematik und Zeichnen; Handwerk gelernt, Tanzen, Schwimmen; Pionierleutnant der Reserve beim 8. Bataillon in Koblenz, wo ich an Sommerabenden am Deutschen Eck saß und mir die Wasser des Rheins wie die der Mosel gleich faulig erschienen; in dreiundzwanzig möblierten Zimmern gehaust; Wirtstöchter, die ich verführt, und die mich verführt hatten; barfuß durch dumpf riechende Flure geschlichen, um Zärtlichkeiten zu tauschen, auch die allerletzte, die sich immer wieder als Falschgeld erwies; Lavendelwasser und gelöstes Haar; und in schrecklichen Wohnzimmern, wo Früchte, die nie gegessen werden durften, in grünlichen Glasschalen alt wurden, fielen harte Worte wie Schuft, Ehre, Unschuld, und es roch dort nicht nach Lavendelwasser; schaudernd las ich die Zukunft nicht im Gesicht der Entehrten, sondern im Gesicht der Mutter, wo geschrieben stand, was man für mich bereithielt. Ich war kein
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Schuft, hatte keiner die Ehe versprochen, und wollte nicht mein Leben in Wohnzimmern verbringen, wo Früchte, die man nicht essen durfte, in grünlichen Glasschale n alt wurden.
Weitergezeichnet, wenn ich von Abendkursen kam, gerechnet und gezeichnet von halb zehn bis zwölf; Engel und Bäume, Wolkenbildungen und Kirchen, Kapellen; gotisch, romanisch, barock, Rokoko und Biedermeier - und, bitte, modern: langhaarige Frauenzimmer, deren seelenvolle Gesichter über Hauseingängen schwebten, während die langen Haare sich links und rechts der Tür wie ein Vorhang entrollten; genau in der Mitte überm Türeingang den scharfgezogenen Scheitel; bitte; da brachten mir in den arbeitsreichen Abendstunden schmachtende Wirtstöchter dünnen Tee oder dünne Limonade, forderten mich zu Zärtlichkeiten heraus, die sie für kühn hielten; und ich zeichnete weiter, vor allem Details, weil ich wußte, daß diese sie
- wer waren sie, diese sie - am ehesten bestachen: Türgriffe, ornamentale Gitter, Gotteslämmer, Pelikane, Anker und Kreuze, an denen Schlangen züngelnd sich emporwanden und
scheiterten.
Blieb mir auch die Erinnerung an den Trick, den mein letzter Chef, Domgreve, zu oft angewendet hatte: im entscheidenden Augenblick den Rosenkranz fallen zu lassen; wenn bei Ortsbesichtigungen fromme Bauern stolz den Acker zeigten, der als Bauplatz für die neue Kirche bestimmt war, wenn Kirchenvorstandsmitglieder voll biederer Schüchternheit im Hinterzimmer kle instädtischer Kneipen den Willen kundtaten, ein neues Gotteshaus zu errichten, dann mit Kleingeld, der Uhr oder dem Zigarrenabschneider den Rosenkranz herausziehen, auf die Erde fallen lassen, ihn bestürzt wieder aufnehmen; darüber hatte ich nie lachen können.
»Nein, Leonore, das A auf Aktendeckeln und Zeichenrollen, auf Kostenaufstellungen, bedeutet nicht Auftrag, sondern Sankt Anton. Abtei Sankt Anton.«
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Mit zierlichen Händen, leisen Schritten schaffte sie Ordnung, die er immer geliebt, aber nie hatte halt en können. Es war zuviel gewesen, zu viele Aufträge, zuviel Geld.
Wenn ich verrückt bin, war ich's damals schon, als ich mich auf dem Bahnhofsplatz des losen Kleingelds in meiner Rocktasche vergewisserte, des kleinen Zeichenblocks, des grünen Etuis mit meinen Stiften, des Sitzes meiner Samtschleife; als ich am Rand meines schwarzen Künstlerhutes entlangtastete, weiter hinunter mit den Händen, an den Schößen des Anzugs entlang, des einzigen guten, den ich besaß, Erbstück von Onkel Marsil, der als junger Lehrer an Schwindsucht gestorben war; schon moosüberwachsen war der Grabstein in Mees, wo der Zwanzigjährige auf der Orgelempore den Taktstock
geschwungen, im Schulhaus den Bauernkindern die Regeldetri eingebleut hatte; wo er abends, im Dämmer, am Moor entlangspaziert war, von Mädchenlippen träumte, von Brot, Wein und von Ruhm, den er sich von gelungenen Versen erhoffte;
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